Sonntag, Juli 18, 2010

Bestseller Kapitel 03: Horst wird umgetauft



III. Horst wird umgetauft

Ich erwache vom schrillen Klingeln. Benommen recke und strecke ich mich. Mein selbst kreiertes Yoga, um den Tag zu begrüßen. Sonst halte ich es mit Churchill: Sport ist Mord. Obwohl die Pfunde um den Bauchnabel etwas Bewegung vertragen könnten. Aber was soll’s. Muss mich fokussieren. Warum habe ich noch mal den Wecker gestellt? Mein Gehirn läuft auf Sparflamme. Das Aufstehen ist für mich die unangenehmste Zeit des Tages, zudem so früh. Neun Uhr. Ich grabe in den hintersten Stuben meines Unterbewusstseins. Dann fällt es mir ein. Vorstellungsgespräch um elf Uhr in Laatzen. Habe ich das als angehender Erfolgsautor überhaupt nötig? Müde schleiche ich in die Dusche. Während das warme Wasser Körper und Seele belebt, komme ich zu dem Entschluss, dass ich meine Kasse aufzubessern muss. Ich kenne mich nicht in der Verlagsbranche aus, aber es wird bestimmt ein bis zwei Monate dauern, bis Geld auf mein gähnend leeres Konto fließt.

Ich trinke einen Kaffee und versuche Bea zu erreichen.
»Yellow Triangle Company, Sie sprechen mit Bea Gunkel», tönt die Stimme meines Exlieblings geschäftig aus der Muschel.
»Horst hier. Wie geht’s?», frage ich und stecke mir eine Zigarette an.
Aus der Leitung dringt gelähmtes Schweigen.
»Gut. Was ist, ich habe viel zu tun», wirkt sie genervt.
»Habe gleich ein Vorstellungsgespräch. Und morgen bin ich beim Verlag, die haben mich eingeladen, weil sie begeistert von meinem Buch sind. »
»Das hast du bereits erzählt», signalisiert sie Desinteresse. Im Hintergrund ruft jemand »Bea, ist der Volkswagentext fertig?»
„Gleich», brüllt sie zurück. Gut, es hat nichts mit mir zu tun. Einfach nur der übliche Bürostress.
»Ich will auch nicht länger stören. Dachte nur, du wolltest mir Glück wünschen.»
Komm mir ein wenig erbärmlich vor. Aber sie soll wissen, dass ich mich bessere.
»Viel Glück», sagt sie, doch ihre Tonalität sagt ‚Lass mich in Ruhe’. »Du hörst, dass ich arbeiten muss. Du machst das schon. Wie immer.» Klingt nach Sarkasmus. Hab ich das nötig? Wie sehr muss sich ein Mann verbiegen, um einer Frau zu gefallen? Hat sie sich nicht gerade deshalb in ihn verliebt, weil er ist, wie er ist? Mit seinen Fehlern?
Ich muss eingestehen, dass unsere Partnerschaft von Anfang an unter einem ungünstigen Stern stand. Bea ist ein Modepüppchen, dabei sehr taff. Der Typ Frau, um den dich deine Freunde beneiden. Sich fragen, aus welchem Zierfischbecken hat der die denn geangelt. Sieht selber eher wie ein Pantoffeltier aus. Bea ist auf einwandfreie Optik bedacht, während ich es eher leger mag. Ich weiß noch immer nicht, was sie an mir gefunden hat. Vielleicht der Rockercharme meiner Lederjacke. Vielleicht war Punkstyle auch in. Jedenfalls geht sie gerne auf Socialising-Veranstaltungen. Xing ist einer ihrer Favorites, so eine Internetplattform für Yuppies oder Leute, die es werden wollen. Ihre Eso-Ader passt da eigentlich nicht ins Bild. Aber Frauen sind oft ambivalente Wesen. Welcher Mann versteht sie wirklich.
Einmal bin ich zu so einem Business-Brunch mitgekommen. Musste mich in Schale schmeißen, was angesichts des eher spärlichen Inhalts meines Kleiderschranks schwierig war. Da bekommst du Krätze. Fand in einer Heilpraktiker-Praxis mitten in der City statt. Überall standen Häppchen mit Gemüsebelag und Sekt rum. Und Horst hatte einen Bärenhunger. Die Leute waren dreimal chemisch gereinigt und mit Perwoll eingeweicht.
»Kladdemann, Regionalleiter von Vorwerk. Unsere ausgezeichneten Produkte dürften allseits bekannt sein. Ist der Teppich voller Dreck, kommen wir, der Dreck ist weg. Haha. Was treiben Sie denn so?», wurde ich sofort von einem Schlipsträger zugetextet. Als ich reflexartig seine Hand schüttelte, missbrauchte er die Gelegenheit, mir eine Visitenkarte zwischen die Finger zu quetschen.
»Ich bin Künstler und studiere hier die Niederungen des White-Trash», antwortete ich. Konnte er nichts mit anfangen und wanderte zum nächsten Opfer. Bea unterhielt sich vorzüglich. Sie lachte, flirtete und lud einige Idioten zu sich in die Firma und zwei sogar nach Hause ein. Mir wurde übel. Als ich fünf Leute mit meinem Spruch verjagt hatte, bekam Bea mit, dass ich mich unwohl fühlte. »Dass sind alles potentielle Kunden. Sei nett, immer lächeln», instruierte sie mich. Keine Chance. Ich verzog mich an die Bar und zog mir Tomatensaftdrinks durch die Speiseröhre. Bah, gab aber nichts Besseres.
»Nimm mich nie wieder zu solchen Moorleichen mit. Die sind schon scheintot auf die Welt gekommen», redete ich mir den Frust von der Seele.
Bea sortierte mit verkniffenem Gesichtsausdruck, die Visitenkarten, die sie abgestaubt hatte.
»Keine Sorge», murmelte sie. »Dein Wunsch sei mir Befehl. Ein Wunder, dass dieser Termin trotz deiner negativen Schwingungen ein Erfolg war.»
Funkstille im Laufe des Tages. Schweigen wie lähmender zähflüssiger Brei, der in die Zahnräder unserer Beziehung drängte und das Leuchten erblassen ließ.

Am Abend saß ich vor dem Rechner, schrieb mir die Seele aus den Fingern, aber heraus kam nur depressiver Seelenmüll. Die Typen von Vorwerk, AWD, die sich hinter Glitzerfassaden von ihren Klimaanlagen das letzte Atom Menschlichkeit aus dem Körper saugen ließen, hatten meine Energie vergiftet. So wollte ich nie werden. Umso erschreckender, dass meine Freundin zu der Gruppe der Mammonzombies gehörte.
»Ich war ein bisschen hart», legte sich irgendwann ihre Hand auf meine Schulter. »Was schreibst du gerade?»
»Interessiert dich eh nicht. Für dich sind deine Freunde im Dreireiher mit den prallen Bankkonten wichtiger als das Leben. Merkst du nicht, wie du dich prostituierst?»
Bea wirkte traurig.
„Von irgendwas müssen wir leben. Schon vergessen? Aber ich bin selber Schuld. Schließlich hast du mich nicht gebeten, mitzukommen. Tut mir Leid.»
Sie hatte ihren Fehler eingesehen. Es bestand also noch Hoffnung auf Besserung. Doch von diesem Zeitpunkt an fraß sich ein Wurm in unsere Beziehung und höhlte sie aus.

»Bist du noch dran?» Habe vergessen, dass wir noch telefonieren.
»Ja, kannst dich mal melden», habe ich mittlerweile jede Hoffnung abgeschrieben.
»Sicher. Es interessiert mich schon, wie es dir geht», gibt sich Bea versöhnlich. »Aber gleich eine Beziehung? Ich weiß nicht. Das muss die Zeit zeigen.»
Besser als nichts. Aber auch nicht viel mehr.
»Ja, gut. Die Pflicht ruft. Man sieht sich.»
Sie legt auf. Ich horche, ob aus der Muschel noch was dringt. Ein letzter Seufzer, der Bedauern verrät. Natürlich nicht.
Missmutig sichte ich meinen Kleiderschrank. Wie gehabt: Viel Fummel vom Second-Hand-Shop und Flohmarkt. Cool, aber für ein Vorstellungsgespräch wenig geeignet. Ob mein neuer Chef auf die zerfetzte Jeansjacke mit Radioheadsticker steht? Wohl kaum. Ist ja kein Gelegenheitsjob, sondern was Zukunftsträchtiges, wie ich Gerd Siebke verstanden habe. Zumindest denkt die Firma so. Mal schauen. Das vorher ausgewählte rote Hemd und die unzerlöcherte Jeans müssen reichen. Ich kleide mich an und stelle erstaunt fest: Mein Abbild im Spiegel gefällt mir. Gebt mir eine Gitarre und ich wirke wie der junge Johnny Cash. Gebt mir ein Hammerprodukt, und ich verscherbele es an Millionen Kunden, die ihr Glück nicht fassen können. Dann könnte ich auf Beas Network-Meetings eine gute Figur machen. Ich bekomme Angst. Verrate ich gerade meine Ideale? Der Gedanke, die Arbeit nur kurzfristig ausüben zu müssen, beruhigt mich. Bald bin ich ein gefeierter Bestseller-Autor und scheide auf dem Malocherleben aus. Dann hänge ich nur noch mit coolen Leuten ab, die wirklich checken, was im Leben abgeht. Fröhlich genieße ich noch eine Camel und begebe mich zur Straßenbahn.

Zehn Minuten Gezuppel mit Linie zehn zum Hauptbahnhof, dann steige ich Richtung Gleidingen um. Ich liebe es, Straßenbahn zu fahren. Das ist für mich kostengünstiges 4-D-Cinema. Wenn ich mir die Gestalten anschaue, stelle ich mir ihre Lebensgeschichten vor. Ist schon die eine und andere Story draus entsprungen. Mir gegenüber sitzt ein Schmerbauch mit Stirnglatze und Matte. Trägt eine schmuddelige Lederweste. Sein Unterkiefer überragt den Oberkiefer um bestimmt fünf Zentimeter. Seht ihr, was ich meine? Welche Macht hat die Wege dieses Typen mit meinen kreuzen lassen? Er hat eine böse Ausstrahlung merke ich. Er sieht, dass ich ihn beobachte und starrt mich finster an. Lasse mich nicht auf ein Blickbattle ein und schaue weg, als hätte ich ihn unbeabsichtigt fixiert. Ich taufe ihn auf den Namen Ingo. Er hat in seinen fünfundvierzig Jahren viele Tiefs erlebt. Wenig Hochs. Die Sonnenstrahlen weichen aus, wenn er sich nähert. Als Kind hat ihn sein Vater geschlagen, Ma hat vor seinen Augen mit anderen Männern gevögelt. Alkohol als permanenter Freund, der das Leben erträglich macht. Doch Ingo hat beschlossen, sich zu wehren.

In seiner angeschmuddelten Nike-Sporttasche befindet sich eine Knarre. Hat er von einem albanischen Hehler auf dem Kiez gekauft, den nur Bares interessiert. Wenn Ingo am Hauptbahnhof aussteigen wird, setzt er sich in die Bahn und fährt nach Mittelfeld oder Vahrenheide, Stadtteile in denen man sich beim Frühstück die Birne mit Vodka zuknallt. Dort kennt ihn niemand. Er geht zu einer Sparkassenfiliale, zieht sich eine Skimütze über den markanten Schädel, wartet bis das Geschäftslokal bis auf die Angestellten leer ist. Dann haut er sich noch einen Jägermeister rein, öffnet die Tür und zieht seine Waffe. Erwartet, dass die Mitarbeiter sich vor Angst in die Hosen machen.
»Hände hoch. Das ist ein Überfall! Alles Bargeld in die Tasche! Sonst vergesse ich mich!»
Trotz Alkohol ist er nervöser als eine Wespe im Colaglas. Und die Anspannung, das dumpfe Gefühl in der Magengegend steigt. Denn die Mitarbeiter bleiben vollkommen ruhig.
»Es tut mir Leid, dass wir Ihren Wunsch nicht erfüllen können. Unsere Geldbestände sind zentral gesichert. Den Code kennt nur der Direktor, und der befindet sich im Urlaub. Wenn Sie von Ihrer Schusswaffe Gebrauch machen wollen, nur zu. Wir sind sowieso unseres Lebens überdrüssig. Kostenlose Überstunden sind Pflicht, wir werden chronisch unterbezahlt und gemobbt, weil wir den Kunden nicht genügend Finanzprodukte andrehen. Meinen Sie nicht, dass für uns reizvoll ist, wenn Sie uns von diesem unbefriedigenden Berufsleben erlösen? Das spart uns viel Zeit. Thema Finanzprodukte: Haben Sie schon an ihre Altersvorsorge gedacht? Bankräuber gehen erfahrungsgemäß oft in den Vorruhestand, und ob dann Ersparnisse und Rente reichen.. »
Ingo ist verwirrt. Er zieht noch einen Jägerflachmann aus der Jackentasche. Prost und runter. Irgendwie wird alles kompliziert und unangenehm. Wenn Banküberfälle so ablaufen, hat er keine Lust drauf. Er mag es bequem und einfach. Nach zwei Minuten Überlegung hat er eine Entscheidung gefällt. »Wo muss ich unterschreiben, Alter? Rente ist echt wichtig.»

So stelle ich mir Ingos Tagesablauf vor. Auf einmal winkt eine Frau. Jung, attraktiv, in ein graues Spießeroutfit gehüllt. Könnte in Beas Kreativitätsschmiede knechten. Obwohl ich sie nicht erkenne, winke ich zurück. Doch sie stürzt sich auf Ingo.
»Hallo Peter», haucht sie ihm ein Küsschen auf die Wange. »Musst du nicht den japanischen Kollegen das Werk zeigen?»
»Hi, Denise», zeigt sich Ingo-Peter erfreut. »Nein, Gott sei Dank. Ich konnte mir den Tag freischaufeln und gehe mit Erni squashen. Das rebootet den Organismus. Ich hoffe, dann bin ich für die anstehenden Aufgaben der nächsten Wochen gewappnet.» Peters Stimme vibriert mit denselben dunklen sexuellen Schwingungen wie ein Barry-White-Song.
Denise scheint darauf anzuspringen. Sie grinst ihn verstrahlt an, als wäre er der sexiest man alive. Nicht zu glauben, dass Frauen auf so schräge Vögel fliegen. Mit dem Bankräuber habe ich knapp daneben gelegen.

Das Firmengebäude der Pekingtech liegt in Laatzen in einem Gewerbegebiet nah dem Schlachthof. Nach kurzer Busfahrt und einigen Metern per pedes stehe ich vor einem zweistöckigen Bau in Ufoform. In der Glassfassade spiegelt sich mein Konterfei. Das einzige sympathische an dem Gebäude. Denn es ist offensichtlich, dass hier Geld gescheffelt wird, Kohle, Zaster, Penunzen. Der Mensch ist egal. Der ist nur funktionierende Nummer im System. Hier soll ich schaffen? Übelkeit macht sich in meinem Magen breit. Ich fühle mich zerrissen. Schließlich denke ich: Augen zu und durch. Schließlich brauche ich den Schotter.

Ich denke an meinen glücklichsten Moment mit Bea, strahle über den ganzen Körper und wandle gleich einer Lichtgestalt in den Tempel des Mammons. Ein kleingewachsenes, schlecht frisiertes Mädchen hütet den Empfang.
»Guten Tag. Ich heiße Horst Stengel, man erwartet mich zum Vorstellungsgespräch», spiele ich den Selbstbewussten.
»Herr Chong erwartet Sie bereits seit zehn Minuten», blickt die Frau auf die überdimensionierte Uhr im Foyer. Der Eingang ist großzügig gebaut, Drucke von Jason Pollock spiegeln Bildung vor. Die Portraits einiger chinesisch dreinblickenden nadelgestreiften Typen leisten ihnen Gesellschaft.
»Stand im Stau», lüge ich. Interessiert sie aber auch nicht weiter. Durch einen langen Gang –hier hängen Bilder mit Computerteilen- werde ich zu einem Büro geführt.
Das Mädel klopft und öffnet.
»Ich habe hier den Herrn Stengel.» Die Antwort kann ich nicht hören, aber sie drückt mich an der Schulter. Also hinein die Höhle des Löwen.
Hinter einem überdimensionierten Schreibtisch aus dunklem Holz thront in einem Ledersessel ein älterer chinesischer Herr in einem knallroten Anzug. Bis auf ein Laptop ist der Tisch leer. Kein Papier, kein Stift, noch nicht einmal eine Zeitung.
»Guten Tag. Ich bin die Professor Johnson Chong», erhebt er sich und drückt mir lasch die Hand. Berührt mich kaum. Lächelt aber starr wie die Typen vom China-Imbiss. »Ich freue mich, dass Sie arbeiten wollen.»
Er lächelt weiter und betastet die goldenen Ringe an seinen Fingern.
»Ich habe gehört, alle Deutschen sind pünktlich. Du bist aber nicht in Zeit.»
Oh, ist das ein gutes Zeichen, dass er mich jetzt duzt?
»Stand im Stau. Der Verkehr am Vormittag ist mörderisch.»
Er nickt wie ein Wackeldackel auf Morphium.
Ich drücke ihm meine Bewerbungsunterlagen in die Hand. Lebenslauf und Zeugnisse sind etwas spärlich. Aber die ganzen Nebenjobs kann ich schlecht aufführen.
»Herr Siebke meinte, bei Ihnen sei eine Stelle im Verkauf frei, für die ich optimal geeignet sei», schwillt meine Brust. Im Geiste sehe ich mich Computerteile quer durch die Welt befördern. Von China nach Hannover nach Dubai bis nach Indien. Warum eigentlich nicht. Ich freunde mich mit dem Job an. Dient der Völkerverständigung, ein Hoch auf die internationale Verbrüder- und Verschwesterung.
Noch immer grinsend schüttelt er den Kopf.
»Nicht verkaufen! Du sollst machen Buchhaltung. Rechnungen kontieren und so was.»
Buchhaltung, davon habe ich nicht die geringste Ahnung. In meiner Umschulung habe ich die Klausur in Rechnungswesen so was von versemmelt. Ich versuche meine Mimik zu beherrschen, um die Enttäuschung zu verbergen.
»Nicht verkaufen?», fragte ich, als ob ich geistig minderbemittelt sei.
»Stelle im Verkauf schon vergeben. Du machst Buchhaltung, sonst keine Arbeit.»
Super. Zögerlich sage ich »Buchhaltung kann ich auch. Mach ich sogar lieber als Verkauf. Wie viel würde ich denn verdienen?» Eigentlich stellt man diese Frage erst am Ende eines Vorstellungsgesprächs, aber wenn ich schon in die dröge Welt der Zahlen eintauchen muss, soll es sich wenigstens lohnen.
Chong nickt wieder grinsend.
»Oh, Stelle wird gut bezahlt. Anfang tausendsiebenhundert Euro, später mehr. Gerd Siebke sagt, du sein guter Junge. Wenn du willst, du hast Job. Aber du müssen viel arbeiten. Deutsche sind fleißig.»
Erwartungsvoll mustert er mich. Ist ja ne ganze Stange. Voller Scham muss ich mir eingestehen, dass ich ganz fickrig werde, wenn ich an die Kohle auf meinem Konto denke. Bin ich auf dem Weg zum Kapitalisten? Fängt so das Leben als Zombie in der Mammonwelt an? Erst kleinen Verlockungen nachgeben, und schon gehört deine Seele dem Beelzebub. Was soll’s. Ist ja nur für kurze Zeit.
»Damit bin ich einverstanden», verkünde ich. »Wann soll ich anfangen?“ Ist ja schon komisch, dass er noch nicht mal einen Blick in meine Bewerbungsunterlagen geworfen hat. Aber andere Nationalität, andere Sitten. Er mag mich und vertraut mir. Eine gute Angewohnheit, auf sein Bauchgefühl zu hören.
»Oh, du musst erst Praktikum machen. Meine Frau ist Chef von Buchhaltung. Du arbeitest zwei Stunden mit ihr. Dann wir können machen Vertrag.»
Scheiße. Ich hätte wissen müssen, dass da ein Pferdefuß hinter der Grinsefassade lauert. Die wird merken, dass ich von Buchhaltung noch weniger Ahnung habe als von Meeresbiologie.
Aber mit Frauen komme ich in der Regel gut zurecht. Ein bisschen geschmeidige Konversation mit der Dame des Hauses. Dann dürfte der Job eingesackt sein.
„Gerne. Machen wir das so. Eines noch. Wofür sind Sie eigentlich Professor? Reines Interesse», beherzige ich den Tipp aus dem Internet, viele Fragen zu stellen.
Das Grinsen von Herrn Chong bröckelt ein wenig, er hält es aber aufrecht.
»Ich sein Professor in China für deutsche Sprache», antwortet er ein wenig zögerlich und holt einen Kuli aus dem Jackett, den er nervös betastet.
»Ein Kollege», entfährt es mir vor Freude. »Ich habe auch einige Semester Germanistik studiert und schreibe auch. Mein erster Roman wird bald veröffentlicht. Was ist Ihr Fachgebiet?»
Chong überlegt. Jede einzelne Gehirnzelle scheint zu rotieren. Seine Stirn legt sich in Furchen. Er atmet Luft in den Mund, plustert die Wangen auf und lässt sie schließlich ab.
»Für das deutsche Grammatik», sagt er schließlich. Meine Spezialgebiete interessieren ihn nicht. Wahrscheinlich hat er für den Professor einen Pferdekarren Yuans in die Universität gefahren. Aber wahrscheinlich fragt niemand nach der Titelfabrik.
Er greift zum Telefonhörer.
»Ich rufe Frau, dass sie zeigt dir Arbeitsplatz. Dann Vertrag», nickt er wieder freundlich. Unergründliche Leute, diese Chinesen. Mir fällt etwas ein. Wenn ich morgen nach Offenburg fahre, kostet das eine Kleinigkeit. Und zwar fast zweihundert Schleifen. Habe mir bis jetzt noch keine Gedanken gemacht, wie ich die zusammenkratze, denn mein Konto ist ratzekahl leergefegt.
»Ich hätte eine kleine Bitte. Könnte ich einen Vorschuss auf mein erstes Gehalt kriegen? Vielleicht», ich überlege kurz »dreihundert Euro. Ich habe dringende Verpflichtungen. Ich werde mich dafür auch besonders anstrengen.» Ich wundere mich über die eigene Frechheit, aber mehr als ablehnen kann er auch nicht.
»Wenn wir machen Vertrag, du kriegst Vorschuss, kein Problem», grient er wieder. Strike. Mir gelingt aber auch alles.
»Danke. Sie werden es nicht bereuen», strahle jetzt auch ich. Offenburg, ich komme.
Wenig später führt mich Chongs Frau in einen spärlich möblierten Raum mit grünen Tapeten. Strange. Zwei Schreibtische mit Rechnern und einer Unmenge von Papieren. Soll ich das etwa alles wegbuchen, kontieren oder sonst wie bearbeiten? Die Dame heißt Juvenna, ist Mitte fünfzig, klein und gedrungen wie ein Monchichi. Trotz des Alters finde ich ihre Stimme unglaublich sexy. Ein warmes Timbre, das einen Mann zum willenlosen Subjekt degradiert. Allerdings nur, wenn ich ihr mit geschlossenen Augen lausche. Und dazu habe ich keine Gelegenheit.
Denn von Anfang an gibt es ein kleines Problem: Juvenna soll mich anlernen und versteht kein Deutsch, Englisch immerhin rudimentär. Sie ist auch keine Chinesin wie der Professor, sondern stammt von irgendeiner asiatischen Insel, von der ich noch nie gehört habe. Die Chefin nennt mich Debi. Das zwar mit erotischer Stimmlage, aber inhaltlich falsch. Zwei Mal weise ich sie darauf hin, dass ich Horst heiße, dann resigniere ich. Lieber ein Debi mit Arbeitsvertrag, als ein Horst ohne. Sollte mich jemals ein Verlag bitten, einen Wälzer mit geflügelten Worten herauszugeben, werde ich dieses Sprichwort aufnehmen.



Juvenna hält nicht viel von Ordnung. Gut, ich auch nicht. Aber dass ich zwischen Rechnung und Briefen ständig in ihre gebrauchten Taschentücher greife, finde ich etwas übertrieben. Sie schmeißt den Rechner an und irgendeine Buchungssoftware läuft. Sie starrt mich erwartungsvoll an, sagt erstmal nichts. Als ich sie frage »What should I do, Madam?» haucht sie in einer unbekannten Sprache akustische Ohrenschmeichlersätze, als wolle sie mich verführen. Ihre genervte Mimik deutet allerdings darauf hin, dass ich mich auf dem falschen Dampfer befinde.
Da ich nichts erwidern kann, schnappe ich mir die nächstbeste Rechnung und die Kontenliste. Ohne Hauch einer Ahnung rate ich zwei Konten, trage sie in den Stempel auf der Rechnung und hacke die Nummern in die Tastatur. Das scheint gut gewesen zu sein. Freundlich nickt Juvenna. So arbeite ich zehn Rechnungen durch, wobei ich die Konten ändere, um Abwechslung in die Tätigkeit zu bringen. Juvenna strahlt und sagt »Stop, it’s enough. You have job. »
Drei Kreuze. Ihr Mann freut sich und sie quatschen fünf Minuten, ohne dass ich ein Wort verstehe. Dann geht es zur Sekretärin. Der Vertrag ist schon ausgedruckt.
»Du fangen nächste Woche an», verabschiedet mich der Professor. »Gebongt, Chef.» Kaum zu glauben, aber ich bekomme wirklich den gewünschten Vorschuss. Das Glück schüttet sein Füllhorn über mich aus.
»Ich bin Janina», stellt sich das Mädel vom Empfang vor. »Deine Vorgänger haben es meistens nicht lange hier ausgehalten. Der Professor ist in Ordnung, aber Juvenna heißt bei den Kollegen nur der Drache.»
Ich bedanke mich für die Einführung in die Firmeninterna. Morgen ist der Buchvertrag unter Dach und Fach, vielleicht brauche ich die Bekanntschaft mit dem asiatischen Drachen gar nicht zu vertiefen.
Ich verabschiede mich brav bis Montag und verspreche, die notwendigen Personalunterlagen vorbeizubringen. Wo ist denn nur mein Sozialversicherungsnachweis? Aber bis dahin ist ja noch jede Menge Zeit.
Euphorisch fahre ich nach Hause. Unterwegs befühle ich die sechs braunen Scheine in der Tasche. Ja, sie sind real. Ich bilde mir das nicht nur ein. Mein Startgeld für die Autorenkarriere.
Zu Hause setze ich mich an den Computer, um weiter das Schicksal von Fred Sauger zu ergründen, doch meine Gedanken schwirren umher, lassen sich nicht fokussieren. Ich will den Abend in Gesellschaft verbringen. Nicht zu lang, schließlich muss ich um sechs Uhr starten, um mittags in Offenburg zu sein. Bea? Nein. Das letzte Telefonat hat mich runter gezogen. Um Morgen überzeugend zu sein, benötige ich Charisma. Und es leuchtet nur der, der sich gut fühlt. Steht in irgendeinem Businessschmöker, den ich bei der Decius-Buchhandlung vom Grabbeltisch erstanden hab. Gute Klolektüre. Vielleicht ist was dran. Auf Andi habe ich heute keine große Lust. Ich habe den Eindruck, dass er immer dasselbe erzählt. Neue nebulöse Projekte, Partys, Frauen. Alles toll, aber insgeheim wirkt er unglücklich. Wie so viele in der Szene. Die meisten Bekannten reden lieber, als den Arsch hochzukriegen und die großartigen Projekte in die Realität umzusetzen. Vielleicht gebe ich auch immer den gleichen Schmarren zum Besten, ich weiß es nicht. Aber jetzt starte ich durch. Erhebe mich aus dem Kreis der ganzen Möchtegernschriftsteller, die nur für Schublade und ihre Handvoll Kumpels schreiben. Immerhin ist Andi ein Netter, jemand auf den ich mich Tag und Nacht verlassen kann. Vielleicht wird ihn mein Erfolg beflügeln, selber zu neuen Ufern aufzubrechen. Ich gönne es ihm. Zu viel Grübeln verursacht Verstopfung, hat meine Oma immer gesagt. Ich brauche Abwechslung.
Da kommt mir eine Idee. Ich durchwühle meine Geldbörse und werde schnell fündig.
»Antje Fellatio. Ich besorg’s dir, wie du’s brauchst.»
Ganz schön wild die Frau. Vielleicht war es ein Fehler sie anzurufen. Was soll ich antworten. Mir fällt nichts Cooles ein. So suche ich bestimmt eine Minute nach einer geeigneten Antwort.
»Hallo, wenn du so ein abgefuckter alter Sack bist, der junge Frauen anruft und sich dabei einen runterholt, nur zu. Ich stehe auf Telefonsex!», schallt es aggressiv aus dem Hörer.
»Ich bin’s, Horst», quetsche ich eingeschüchtert raus.
»Hei, Alter. Ist stark, dass du anrufst. Wie ist es? Hast du den Buchvertrag eingesackt?“, scheint sie sich zu freuen.
»Morgen ist der große Tag. Bin mächtig stolz. Ist immerhin mein Debüt. Beim vierten, fünften Roman sehe ich das bestimmt gelassener. So bin ich etwas nervös. Fahre morgen früh nach Offenburg, schau mir die Räumlichkeiten an, vielleicht gehen wir essen und lassen dann die Sektkorken fliegen. Bier wäre mir ja lieber.»
»Mir auch», lacht Antje. »Aber für einen Buchvertrag würde ich eine Ausnahme machen. Das Leben ist ein einziger Kompromiss, Alter. Gibt jedenfalls Fame in der Community. Musst dir aber auch klar sein, dass manche Kollegen neidisch sein werden.»
»Damit kann ich leben», spiele ich den Starken. »Hast du Lust, heute Abend abzuhängen und zu chillen?», wage ich mich auf dünnes Eis. Sie hat sicherlich keine Zeit, findet mich unattraktiv oder uncool.
»Hm, muss noch ein Referat für die Uni vorbereiten. Der Hof zu Zeiten Shakespeares, ziemlich bildungsbürgerlich. Aber schadet ja nichts, sich mit dem historischen Krams auszukennen.» Wie ich mir gedacht habe. »Aber heute Abend, klar, warum nicht. Du kommst vorbei, und ich koche einen Happen für uns. Können uns dann eine DVD ansehen, hab was vom Poetry Slam in Leipzig.»
»Cool, Anschauungsunterricht für die eigene Performance. Kann nie schaden», fasse ich mein Glück nicht.
»Alter Falter, Du glaubst es nicht», gibt sie sich exstatisch. »Da sind Hammertypen aufgetreten. Sushi, Böttcher und Konecny. Die rocken den Saal. Vielleicht rappe ich mein Referat», überlegt sie.
»Ob das der Prof cool findet? Die sind doch verstaubter als das Oxford Dictionary.»
»Unterschätz den ollen Dick nicht», widerspricht sie vehement. »Für seine Zeit war der abgefahren bis in die Haarspitzen, genialer Typ. Du kannst die Texte der Klassiker für den Slam grandios parodieren. Denk an Wehwalt Koslovskys Schiller fickt. Gigantomanisch.»
»Ich les auch ab und an die alten Herren», flunkere ich. »Will meine Roots kennen. Hamlet ist ja ein ins Universum gefurzter Rap, ein vorweggenommener Ginsberg.»
»I tell you», bestätigt Antje. »Um zwanzig Uhr bei mir. Wittekindstr. 28. Freu mich.»
Kaum hab ich aufgelegt, klingelt es.
»Alter, was geht ab? Hast du Lust, dich im Chez Heinz mit mir zu treffen?» Andi redet hektisch, als hätte er was eingeschmissen.
»Keine Zeit. Hab so eine Art Date.»
»Ein Date? Fantastisch, ist auch höchste Zeit, dass du den Bea-Trip verlässt. Die Alte bringt nichts Gutes. Zu settled. Wer ist es denn, kenn ich die Braut?»
Eigentlich will ich mit Andi nicht über Antje sprechen. Vielleicht redet er mir das Date kaputt. Na was soll’s, schließlich erzählt er mir auch seine Frauengeschichten.
»Eine Slamer-Kollegin, Antje Fellatio. Weiß nicht, ob ihr euch über den Weg gelaufen seid.»
Andi lacht, etwas hysterisch, was mich ärgert.
»Mensch, die Tussi hat‚’ne exzellente Optik, aber was sie so von sich gibt. Ich bin eine Drecksfrau und ficke gerne. Weiß nicht, ich streichele lieber zahme Kätzchen, als mir die Finger von Panterinnen abbeißen zu lassen.»
»Was macht Inga? », wechsele ich das Thema.
»Romy», klingt er etwas eingeschnappt. »Alles easy. Wir sind im Honeymoon. Ziehen bald zusammen. Ist das nicht eine gute Neuigkeit?» Überzeugend klingt das nicht. Außerdem zittert seine Stimme, als stünde er kurz vor der Exekution.
»Alles in Ordnung?», frage ich. Eigentlich spielen körperliche und seelische Befindlichkeiten keine Rolle in unserer Freundschaft. Andi Szenetiger ist immer gut drauf. Aber heute wirkt er, na, ich weiß nicht. Bin kein Psychodoc oder Mediziner.
»Natürlich, was soll das?» reagiert er auch gereizt. »Bereite gerade eine Ausstellung in Pinneberg vor. Sculptures stoned washed. Bin durch diverse Steinbrüche in ganz Dummdeutschland getrampt, um Material zu ranzukarren. Das wird der Renner. Ich sag’s dir. Bin nur etwas überarbeitet.»
Wahrscheinlich Material, um Luftschlösser zu bauen.
»Das wird es sein», gebe ich ihm Recht. »Muss mich noch mental vorbereiten. Ich ruf dich an, wie es beim Verlag gewesen ist. »
»Mach das, Alter. Fingers crossed.»

Kapitel 04 Blitzdating mit dem Medizinmann erscheint urlaubsbedingt wahrscheinlich am 01.08.10.

Sonntag, Juli 11, 2010

Interview auf www.legimus.de

Heute ist ein interessantes Interview mit mir erschienen. Es geht um Martin Springenbergs und meine Bücher, insbesondere "Bestseller", aber auch ums Schreiben selber.

Das Interview findet Ihr hier: Legimus im Gespräch mit Michael Bresser

Viel Spaß beim Lesen und ein kühles Restwochenende

Michael

Samstag, Juli 10, 2010

Bestseller Kapitel 02: Vagina Blues



II. Vagina-Blues

Am nächsten Morgen fühle ich mich matschig. Ich vermisse Bea stärker als sonst und bin froh, dass ich nicht mit Petra im Bett gelandet bin. Frauen wie sie bringen nur Ärger. Um halb zehn, ich rühre lustlos im Kaffee rum, ruft Andi an. Normalerweise pennt er bis zur Mittagstalkshow im Proletariats-TV. Hat bestimmt einige Lines inhaliert, um den Sandmann in Rente zu schicken.
»Nickerchen beendet, Amigo?»¸ klingt Sister Cocaine durch seine Stimme. »Wie war’s mit Petra? Seid ihr zusammen in die Kiste gestiegen?»

Er muss hellseherische Fähigkeiten haben. Gott sei Dank habe ich ein reines Gewissen.
»Was denkst du von mir?», frage ich entrüstet. »Fange nie etwas mit der Freundin eines Freundes an. Ist meine eiserne Grundregel seit frühster Jugend.»
»Hätte mir nichts ausgemacht», klingt Andi enttäuscht. »Wirklich. Petra ist Geschichte. Bin gestern noch durch die Kneipen gejettet. Da habe ich Romy kennen gelernt. Die Frau ist Fotografin. Wirklich interessant. Sie lichtet Frauen in historischen Kostümen ab. Passt gut zu meinen aktuellen Projekten. Habe lose Kontakte nach Stendal. Die wollen so eine Art Skulpturen-Disney veranstalten. Könnte mir gut vorstellen, dass Romys Fotos meine Objekte illustrieren. Wir quatschen über ein mögliches Konzept. Na, du kennst das. Da kam eines zum anderen. Sie wohnt am Pfarrlandplatz, ist ja nicht weit. Wir haben uns dann ein wenig amüsiert. Ich glaube, da wird etwas Längerfristiges draus. Hab so was wie Liebe gespürt. Wird ganz ordentlich von ihren Eltern unterstützt. Der Vater ist ein hohes Tier bei der Polizei.»

Ich schütte mir einen neuen Kaffee in die Tasse und beiße vom Nutella-Knäckebrot ab.
»Und was ist mit Petra?», frage ich. »Weiß die schon von deiner neuen Liebe?»
„Nein, bist du jeck?», lacht Andreas. »Habe keine Lust auf Diskussionen. Die ist ziemlich schräg drauf. Ich meld mich nicht, und dann merkt sie von selber, dass ich kein Bock mehr auf sie habe. Ich habe wirklich gehofft, dass ihr euch vergnügt hättet. Das hätte mir ein wenig das Gewissen erleichtert. Sie hat schon öfter versucht, sich durch Fremdvögeln zu rächen. Dann hätte ich den Entrüsteten spielen können, dessen Gefühle bis in die kleinsten Partikel verletzt sind. Klingt besser, als einfach „Du langweilst mich.“ zu sagen.»
Andi macht sich manchmal das Leben zu einfach. Aber das ist seine Angelegenheit.
»Wenn Petra anrufen sollte: Du hast seit gestern Abend nichts von mir gehört», beschwört er mich.
»Klar», sagte ich. »Freunde helfen sich doch immer.» Scheiße, jetzt zieht er mich in seinen Beziehungsmist. Nachher muss ich noch Petras Seelentröster spielen.

»Wusste ich doch, dass ich auf dich zählen kann. Thema verfrühstückt. Was machst du heute, sollen wir uns auf einen Latte im Notre Dame treffen?»
Das Notre Dame gilt in der Szene als megauncool. Das macht die Kneipe für Andi zum Walhalla. Er sagt, lauf nicht dem Trend hinterher, kreiere ihn. Zudem beneide ich Andi um die Leichtigkeit, jedes Problem mit jungenhafter Nonchalance zu verdrängen. Warum kann ich Bea nicht so einfach abtun? Aber meine Gefühle lassen sich einfach nicht steuern. Zumindest habe ich noch nicht das Lenkrad entdeckt, womit ich mein Leben in eine erfreuliche Zukunft fahren kann. Wenn ich es finde, werde ich bestimmt die eine oder andere Millionen als Motivationstrainer verdienen. Tschaka-Tschaka.

Halb zehn verrät mir meine Uhr. Verdammt, um zehn habe ich einen Termin im Job-Center.
»Vielleicht gegen dreizehn Uhr. Ich ruf dich an, muss jetzt los», würge ich Andi ab.
»Schade», gibt sich der enttäuscht. »Ja, vielleicht sehen wir uns. Ruf mich an, ob es klappt. »
»Ciao, Muchacho.»

Ich steige in die Straßenbahn Richtung Steintor und beobachte, wie Hannover erwacht. Die Dönerladenbesitzer polieren die Scheiben ihrer Gourmettempel, die Ein-Euro-Shops präsentieren Plastikharken und Gummibäume. Noch nicht viel los in Limmer. Fast pünktlich treffe ich ein.
Mein Vermittler heißt Gerd Siebke. Um die fünfzig, schlohweißes wallendes Haar, Hornbrille und Hemden, die immer einige Nummern zu groß sind, so dass er wie ein aufgeblasener Luftballon wirkt.
Über die Jobcenter wird in der Presse viel Schlechtes berichtet. Stimmt alles. Doch mit Gerd ist alles anders. Mit ihm habe ich ins Glückbuffet gegriffen und eine Pizza XXL herausgefischt. Der Mann ist eine große Seele, Mahatma Siebke. Hätte vielleicht eher Sozialarbeiter werden sollen. Fühlt sich persönlich für die Schicksale seiner Schäfchen verantwortlich und glaubt an mich. Er hat schon oft einen interessanten Job für mich an Land gezogen, der Kohle in den leeren Heizungskeller geschaufelt hat.

»Guten Morgen, Herr Stengel», schüttelt er mir überschwänglich die Hand. Eines Tages wird er mir den Arm verrenken. Ob das als Arbeitsverletzung zählt? »Schön, dass Sie doch noch kommen. Wie geht es Ihnen?»
Normalerweise wird keinem „Kunden“ die Hand geschüttelt. Er soll gleich merken, dass er in den Hallen der Agentur für Arbeit weniger als ein Nichts ist. Ein Niemand, der lediglich eine lästige Zahl in der Arbeitslosenstatistik präsentiert, die der Manager in die Statistik Vermittlung transferieren soll. Doch Siebke ist Mensch und pfeift auf Vorgaben seiner Chefs in Nürnberg. Wir haben ein freundschaftliches Verhältnis. Kaum zu glauben, aber wahr. Ich habe den Eindruck, dass er mich als eine Art verlorenen Sohn betrachtet, dem er helfen muss, auf den Pfad des erfolgreichen Lebens zurückzukehren.
Wenn mir ein Job nicht zugesagt hat, war das immer okay. Er hat mir noch nie mit Kürzung meiner Bezüge gedroht. Kein Problem, dann hat er halt einen anderen aus dem Hut gezaubert. Klasse Typ. Er schenkt mir einen Kaffee ein.
»Es geht. Wissen Sie, die Trennung von Bea macht mir noch immer schwer zu schaffen», nehme ich dankend einen Schluck.
»Es ist hart, wenn sich zu der beruflichen Misere eine private hinzugesellt. Schon der Fußballgott Jürgen Wegmann sagte ‚Erst hatten wir kein Glück, dann kam das Pech hinzu’», menschelt Gerd. Wenigstens einer hat Verständnis für mich.
»Haben Sie denn Bewerbungen geschrieben?»
»Eher weniger», gestehe ich. Bei Siebke ist Ehrlichkeit möglich. »Ich habe mich in den vergangenen Wochen auf meinen Roman konzentriert. Da blieb keine Zeit für anderes. Ich lande damit den ganz großen Wurf, das ist klar. Leider ist bis jetzt noch kein Verlag angesprungen. Habe diverse Leute wegen finanzieller Vorfinanzierung angeschrieben.»
»Das ist oft ein langer Weg», seufzt Gerd. »Haben Sie Deutschland sucht den Superstar gesehen? »
So einen Kommerzscheiß lehne ich ab. Sehe höchstens Basketball in der Flimmerkiste.
»Am Rande», lüge ich jetzt doch ein wenig.
»Der Sieger, dieser Thomas Godoj, war jahrelang arbeitslos. Dabei hat er auch schon früher wirklich gute Musik gespielt. Gehen Sie ins Internet und googeln Wink. Das müsste Ihnen gefallen. Leider blieb der Band der Durchbruch verwehrt. Und durch seinen Auftritt bei Bohlen wundert sich jetzt jeder, dass dieser Wunderknabe nicht früher entdeckt wurde. Irgendwie erinnern Sie mich an ihn. Ich bin fest überzeugt, dass auch Ihr Name eines Tages auf dem Titelbild einer Zeitung zu lesen ist.»
Ich kenne zwar diesen Thomas nicht, aber Gerds Worte balsamieren meine Seele, richten mich auf, überzeugen mich, auf dem richtigen Weg zu sein.

Mein Elternhaus unterstützt meine Ambitionen weniger. Mutter sagt immer »Ich habe früher auch Tagebuch geschrieben. Und wen hat es interessiert? Den Verleger Niemand. Du wirst nie von deinem Herumgeschreibe leben können.» und Vater fügt zornig hinzu »Dass du dir mit fünfunddreißig noch mit solchen Flausen den Kopf voll stopfst. Junge, dazu habe ich dich nicht erzogen. Werd endlich erwachsen.» Muss der gerade sagen.

»Danke, dass sie an mich glauben. Sie bekommen auf jeden Fall ein Exemplar. Mit Widmung», verspreche ich und meine es auch so.
»Das ehrt mich», freut sich Gerd. »Ich habe früher auch geschrieben», gesteht er. »Lyrik über Jahreszeiten und Obst. Politik war auch dabei. Damals war ich bei den Grünen, bin auf Ostermärschen mitmarschiert. Meine Freunde im Wendland, ein Atommülllager hat euch das Hirn verbrannt, dort wo eine Wiese stand, der Widerstand uns nun vereint», deklamiert er. »Wie finden Sie das, Herr Stengel?»
»Gut», sage ich. Lyrik ist zwar nicht meins, klingt auch etwas holprig aber Siebkes Message rockt. »Finde ich klasse, dass Sie sich gegen das Lager gewehrt haben. Es lassen zu viele Leute, alles mit sich machen.»
»Naja», blickt Siebke etwas verlegen auf seinen Kuli. »Letztendlich haben wir nicht viel bewirkt. Das Lager wurde errichtet. Heute bin ich auch nicht mehr aktiv engagiert, eher resigniert. Die Transporte werden durchgeführt, egal wie viele Menschen dagegen protestieren, sich sogar auf die Schienen ketten. Und politisch sind die Grünen auch nichts Besonderes mehr. Willkommen im Establishment. Daher versuche ich wenigstens im Job meine Ideale zu verwirklichen. Solange der Staat mich lässt», wirkt er niedergeschlagen.

Dann hellt sich seine Miene wie auf. »Ich kann ihnen übrigens eine Stelle anbieten. Eine Firma sucht jemanden für den Verkauf von Computerhardware. Das passt zu ihrer kaufmännischen Umschulung.»
Richtig. Warum ich in etwas auf dieser Businessschiene gemacht habe, ist mir noch heute ein Rätsel. Als die Studiengebühren eingeführt wurden, war das Leben als angehender Germanist einfach nicht mehr finanzierbar. Literaturwissenschaft als Langzeitstudi ist ein teures Hobby. Wollte sowieso nie im Establishment als Pauker ackern. Aber das ist Geschichte. Ich kehre aus den Tiefen meiner Biographie in Siebkes Amtsstube zurück. Ein Job, warum nicht? Ich wäge Zeitverlust gegen Kohle ab. Die Situation meines Geldbeutels hat die überzeugenderen Argumente.
»Ja, stimmt. Ich bin interessiert», freue ich mich auf kulinarische Abwechslung. Nutellaknäckebrot wird auf Dauer langweilig. Und zu mehr reicht mein Einkommen zurzeit nicht.
Gerd druckt mir die Adresse aus und vereinbart mit meinem potentiellen Chef einen Termin für den nächsten Tag um elf Uhr. Mist, ist ja relativ früh.
Ich verabschiede mich dennoch fröhlich.
»Wenn Sie irgendetwas haben, können Sie mich jederzeit anrufen», drückt mir Siebke eine Visitenkarte mit seinen privaten Telefonnummern in die Hand. Wohnt in der Südstadt. Nette Wohnlage, vielleicht etwas zu etabliert. Aber in seinem Alter kann man auch abseits des Zeitpulses campieren. Immerhin hat er früher gegen den Mainstream gerockt. Das können nicht viele Oldies von sich behaupten. Von seinem Angebot mache ich sicherlich Gebrauch.

Heute Mittag habe ich keine Lust auf Andi, fahre euphorisch gestimmt nach Hause und durchsuche meinen Schrank nach Kleidung für das Vorstellungsgespräch. Geeignetes Mangelware. Eine Krawatte, ein Muss für einen Bürojob besitze ich nicht. Und um einen dieser Halsabschneider zu kaufen, fehlt mir das Geld. Allerdings: Die Firma soll mich kennen lernen, wie ich bin. Bringt nichts, wenn ich mich verkleide. Wenn sie auf Maskeraden stehen, bin ich der Falsche. Ein rotes Hemd, vielleicht ein wenig knallig, und meine einzige heile Jeans müssen es tun. Meine Punk-Look-Klamotten scheiden aus. Ich glaube nicht, dass sie auf so was stehen. Aber man weiß nie. Die IT-Branche soll innovativ und freigeistig sein. Ein Vorstellungsgespräch ist jedoch nicht die ideale Testumgebung.

Das Telefon klingelt. Bestimmt Andi, der fragt, wo ich bleibe. Ist er aber nicht. Bea. Von Zeit zu Zeit fühlt sie sich seit Neustem berufen, sich nach meinem Wohlergehen zu erkundigen. Glaubt anscheinend, ohne ihre Kontrollanrufe würde ich noch ein paar Stufen auf der sozialen Leiter hinunterpurzeln.
»Wie geht’s, wie steht’s», macht sie auf locker.
Sofort spielt sich in meinem Kopf ein Hugo-Race-Song ab: ‚It’s the old wound fever, pain in my heart.’ Ein Schmerz durchzuckt mich, das Gefühl des Verlustes breitet sich in meinem Nervensystem aus. Aber noch ist nicht alles verloren, mache ich auf Zweckoptimismus. Die kommt zu mir zurück.
»Super, ich habe morgen meinen Job, und die Verlage reißen sich um meinen Roman», gebe ich an, als würden meine Endorphine explodieren. Übertrieben, aber vielleicht wirkt es.
»Komm zu mir zurück! Ich kann dir ein wundervolles Leben bieten. Wenn ich mich erst mal konsolidiert habe, können wir ruhig über Heirat und Familie nachdenken», werfe ich Signalworte aus Beas Spießer-Welt auf den Spieltisch, nach denen jede Frau geifert, die auf Status geil ist. Wie meine Ex. Ich hege natürlich keine Familienpläne, aber ich hoffe, dass ich bei Bea den richtigen Knopf drücke.
»Es freut mich, dass es dir gut geht. Aber ich weiß nicht, ob das mit uns beiden noch Zweck hat», gibt sie sich zurückhaltend. »Klar, ich habe noch Gefühle für dich. Aber es ist zuviel passiert. Da brauch ich einfach Zeit, will sehen, ob du wirklich dein Leben selber auf die Kette kriegst. Über Hochzeit zu reden, macht da meiner Meinung nach wenig Sinn. Es wundert mich, dass du mit so was ankommst. Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass du der Familientyp bist.»
»Du hast dich doch aufgeregt, dass ich nichts im Haus mache und nur auf deine Kosten lebe. Jetzt will ich arbeiten, und es reicht dir noch immer nicht. Und Familie heißt bei mir, dass ich es ernst mit dir meine. Aber das scheint dich nicht zu interessieren. Hast du einen anderen?», stelle ich die entscheidende Frage.
»Das hat nichts mit anderen Männern zu tun», reagiert Bea etwas genervt. »Klar, da gab es den einen oder anderen zwischendurch. Aber nichts Ernstes. Und bei dir?“
»Es gibt einige Frauen, die auf einen kurz vor dem großen Erfolg stehenden Schriftsteller heiß sind. Gerade junge Literaturstudentinnen fahren auf mich ab. Habe mir schon überlegt, mir eine Geheimnummer zuzulegen», übertreibe ich geringfügig.
»Schön für dich», klingt sie beleidigt.
»Aber ich will nur dich. Unsere Liebe war einzigartig, eine Symbiose von Sonne und Mond, ein intergalaktische Verschmelzung», fallen mir ad hoc nur abgeschmackte Metaphern ein.
»Lass mir Zeit. Ich bin noch nicht so weit. Aber wenn du eine andere kennen lernst, will ich dir auch nicht im Weg stehen. Ich kann nichts versprechen», verbreitet sie wenig Optimismus. Aber ein blasser Schimmer der Hoffnung regt sich doch in meinem Herzen.
»Du bist jederzeit willkommen», öffne ich ihr sperrangelweit die Tür zurück ins Glück.
»Wir werden sehen. Man hört sich», scheint sie für den ersten Schritt noch nicht bereit.
»Ja, ich freu mich immer, deine wohl tönende Stimme zu hören», trage ich dick auf.
Würgähnliche Geräusche dringen aus dem Hörer.
»Hast du dich verschluckt? », fragte ich besorgt.
»Bis bald», legte sie auf. Na, in einem Monat wird sie mich zurückwollen, prognostiziere ich.
Andi meldet sich nicht. Hat vielleicht was Besseres vor. Schade.

Ich leg mich auf Bett und stellte mir den Wecker auf neunzehn Uhr. Als ich um halb acht am Faust eintreffe, hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Das Faust ist ein alternativer Verein direkt an der Leine gelegen. Es residiert in den Örtlichkeiten einer bankrotten Bettenfedernfabrik. Im Saal finden Konzerte statt. Habe dort bereits Philip Boa und die Ruhrpottprolls von Sodom gesehen, also keine Nullachtfünfzehntruppen. Dort kannst du Leute treffen, die es sonst nirgends gibt. Alte MLPD-Fuzzis, Atomkraft-Nein-Danke-Aktivisten, sogar Hippies haben sich dort ein Reservat errichtet. Bunt wie Linden. In der Warenannahme geben sich Theater und Literatur die Ehre.
Einmal im Monat füllt der Dichterwettstreit „Wortmacht“ den Raum. Ein geiles Gefühl vor hundertfünfzig bis zweihundert Leuten seine Texte vorzutragen. Ich mag den Ort, ist irgendwie meine kulturelle Heimat innerhalb Hannovers. Berlin hat natürlich quantitativ mehr zu bieten, aber ich mag es eher beschaulich.
Duffy, einer der Moderatoren, begrüßt mich an der Kasse.
»Hotte, schön, dass du dabei bist. Liest du?»
»Klar, Thema war heute Identität oder?», bin ich mir selbst nicht sicher, ob ich den richtigen Text verfasst habe.
»Si, ich trag dich in die Liste ein. Mal schauen, wie viele kommen. Das Wetter ist leider suboptimal.»
Duffy ist ein schlanker Schlacks mit braunen ins Gesicht fallenden Haaren Ende zwanzig. Er schreibt selber politische Lyrik, hat auch schon ein Buch und eine CD unter den Namen Phonopoets veröffentlicht. Als Vortänzer ist er zusammen mit Yannick einsame Klasse. Der steht in Lederweste und Hemd, cool wie die Inkarnation eines Rockers hinter dem Büchertisch. Er hat in verschiedenen Social Beat-Magazinen veröffentlicht und arbeitet für das Faust und das Online-Magazin Linker Lulatsch.
»Horst, bin mal gespannt, was du heute auf Lager hast», drückt er mir die Hand. »Wird spannend. Leute von außerhalb kommen wahrscheinlich nicht.»
Ich nehme in der zweiten Reihe Platz. Langsam füllt sich der Theaterraum. Der Adrenalinpegel steigt. Zur Beruhigung gehe ich nach draußen, um zu rauchen.

Mein Handy klingelt. Hat Bea endlich die richtige Entscheidung getroffen?
»Spreche ich mit Herrn Stengel, Herrn Horst Stengel?» fragt eine sympathische Altstimme.
Mist, ein Callcenter, der mir irgendeinen fantastischen Scheiß aufschwatzen will, bei dem ich fünfzig Euro im Monat zahle. Bin einmal auf so eine Tante reingefallen, nie wieder.
»Was Sie mir auch verkaufen wollen, ich brauche es nicht!», stelle ich zu Beginn unserer wunderbaren Konversation meinen Standpunkt klar.
»Ich will Ihnen nichts verkaufen. Im Gegenteil. Ich heiße Gisela Ahmert, mir gehört der Ahmert-Verlag. Sie haben uns Ihren Roman geschickt, und was soll ich sagen: Ich war restlos begeistert. Wir wollen Sie verlegen.»
Mir fällt die Kinnlade herunter.
»Hallo, sind Sie noch da? »
»Klasse, das freut mich. Sie haben Glück, dass Sie die erste sind. Wenn mir Ihr Angebot zusagt, erhalten Sie den Zuschlag», offenbare ich meine Geschäftsprinzipien.
»Das freut mich. Ein aufrechter junger Autor. Das lässt sich gut vermarkten. Was halten Sie davon, wenn wir uns persönlich kennen lernen? Sie kommen in unserem Verlagshaus vorbei, können sich ein Bild von Ihrer neuen literarischen Heimat machen und unterzeichnen den Vertrag.»
Das klingt ja besser, als alles, was ich mir je erträumt habe. Die reißen sich um Horst Stengel.
»Aber Ihnen ist klar, dass mein Roman noch nicht komplett fertig gestellt ist? Es fehlt nicht mehr viel, aber ich will ehrlich sein, ein bis zwei Monat werde ich noch brauchen», spiele ich mit offenen Karten.
Gisela lacht. »Das macht nichts. Sie konnten uns von Ihrem Potential überzeugen. Wir wollen Ihr Buch unbedingt. Wie sieht es aus? Würde Ihnen übermorgen in der Mittagszeit passen?»
Die Frau hat mich mit Haut und Haaren. Wer von meinen Slamerkollegen kann schon einen Buchvertrag vorweisen. Das hebt mich in höhere Regionen. Stolz schwellt meine Brust und durchwabert meinen kompletten Körper.
»Wo sitzen Sie denn?», kann ich mich partout nicht an den Verlag erinnern. Sind auch wirklich viele Adressen gewesen, die ich angeschrieben habe. Aber die Plackerei hat sich gelohnt, wie man sieht.
»In Offenburg, das liegt in Baden-Württemberg in der Nähe von Straßburg. Gerbergasse 11. Darf ich mit Ihnen rechnen?»
Darf sie, sie kriegt von mir alles, was ich habe. Gisela Ahmert, die Frau, die meinen Wert als Autor als erste zu schätzen weiß. Ohne sie zu kennen, habe ich mich in sie verliebt.
Duffy winkt mir. Es geht los. Ich schmeiße die Kippe in den überquellenden Ascher vor der Tür. Hat sich gut gefüllt, der Laden. Bestimmt hundertsiebzig Leute.
Der Opener erklingt, ein eingängiger schneller Punkrocksong. Hab noch immer nicht herausgefunden, wer ihn singt. Klingt nach Toten Hosen. Dann erklärt Yannick die Regeln.
Die Reihenfolge der Autoren wird gelost. Jeder liest seinen Text, das Publikum bewertet Inhalt und Performance von 1 – 10. Die ersten drei gewinnen Preise, die meistens aus Bonus-CDs von Musikzeitschriften bestehen. Reich wird der Autor also nicht. Es geht um den Spaß, und der ist reichlich vorhanden. Manche Kollegen touren durch die ganze Republik. Für Ruhm und Ehre.
Ich bin als vorletzter an der Reihe. Am schönsten finde ich Auftritte in der Mitte. Da ist das Publikum angeheizt, und den Rest des Abends kann ich mich dem Bier widmen. Vor dem Auftritt zu trinken, hat sich als wenig vorteilhaft erwiesen. Alkohol nimmt der Aussprache die notwendige Präzision.
Da kann schon mal ein vernuschelter Vortrag rauskommen, den das Publikum nicht versteht. Ist mir alles schon passiert.

Antje Fellatio hat die Ehre den Saal vorzuwärmen. Sie klettert auf die Bühne, trägt keinen Slip unter dem Minirock, darüber eine offenherzige Bluse, die mehr anbietet als verhüllt. Etwas offenherzig, aber eine starke Braut. Erinnert mich an Madonna zu Material-Girl-Zeiten. Sexy bis ins letzte Schamhaar.
»Guten Abend, Hannover. Seid ihr so gut drauf wie ich?», haucht sie ins Mikro.
Vereinzelte Zustimmungsrufe, einige brüllen auch »Ausziehen!». Das gefällt ihr sichtlich.
»Der Abend ist noch lang. Mein Text heute heißt Vagina Secret.»
Gekonnt wartet sie die Reaktionen des Publikums ab. Ihre Bühnenpräsenz hätte ich auch gerne. Sie rückt sich ein letztes Mal das Mikro zurecht und startet:

»Ihr sitzt unter meinen Beinen und fleht,
Antje, erotische Göttin, gib uns dein Vagina-Sekret.
Ich lass euch flehen und bitten
Damit ihr nicht verdurstet zeig ich meine Titten.


Mein Aphrodisiakum verspricht und ich verheiße,
wer mich liebt, liebt mich, wenn ich scheiße,
Körperausscheidung liegen in der Natur,
drum trinkt mein Vagina-Sekret pur.»

Dabei reibt sich ihr Muschi. Ist schon ziemlich pornographisch. Manche Zuschauer blicken pikiert zu Boden, doch die meisten applaudieren frenetisch. Das ist definitiv ein Favorit auf den Tagessieg, obwohl der Opener selten siegt und ich nicht weiß, was die anderen zu bieten haben. Duffy kritisiert freundlich, dass der Zusammenhang mit dem Thema Identität nicht ersichtlich sei. Doch das stört Antje wenig. Grinsend zeigt sie ihm den Fuck-You-Finger, woraufhin er sich ironisch verbeugt.
Als nächster betritt Felix die Bühne, ein blasser Student mit langen Haaren, den ich auf den ersten Blick unsympathisch finde. Wirkt intellektuell, was aber nichts Positives heißt, wie ich fürchte.
»Harte Konkurrenz, aber ich trage meinen Text trotzdem vor», begrüßt er patzig das Publikum. Mit einem solchen Spruch hat er bereits verloren. Dazu kommt: Sein Elaborat ist vollkommen ungenießbar. Bereits als er mit der bedeutungsschwangeren Zeile »Der Harlekin reißt der Gesellschaft im Spiegelsaal der Macht die Maske runter» anfängt, wollen mir die Augen zufallen. Säure steigt aus meinem Magen hervor. Dieses nicht enden wollende Poem überschreitet die vorgeschriebene Zeit von sieben Minuten deutlich. Doch keiner buht ihn von der Bühne. Leider. Da sieht man, wie nett die Hannoveraner sind. In Hamburg, Köln oder Berlin hätte er sich keine Minute vor dem Mikro gehalten.
Ich gehe nach draußen. Rauche, bereite mich entspannt auf meinen Auftritt vor. Gehe den Text mental durch, finde einige holprige Stellen. Na, wird schon schief gehen. Antje raucht auch. Hat sich eine Jacke und eine Hose angezogen. Sie unterhält sich mit einigen männlichen Fans. Sehen wie Studis aus. Die finden sie richtig gut, wie es scheint. Verstohlen tasten sich meine Augen ihre Beine hoch. Jetzt trägt sie einen Slip. Die Offenherzigkeit scheint Show zu sein. Sex sells.
»Klasse, was du dich traust», tönt ein hoch aufgeschossener Wikinger mit blondem Pferdeschwanz.
»Würde gerne dein Vagina-Secret entdecken», geht er gleich aufs Ganze. Sein baugleicher Kumpel nickt, weiß aber nichts zu sagen.
»Seit Charlotte traut sich Frau zu sagen, dass sie kackt. Sollte eigentlich normal sein, aber in dieser Claudia-Schiffer-Welt versuchen alle, sich den von den Medien diktierten Schönheitsidealen anzupassen. Nicht mit mir», grinst sie überlegen, ohne auf die Kontaktversuche der Typen einzugehen.
Dem Wikinger scheint das alles ein wenig unheimlich zu sein. Dennoch baggert er weiter. Subtil.
»Finde ich klasse. Ich bin auch Feminist. Lass uns Körperflüssigkeiten austauschen.»
Antje lacht und klopft ihm mit der flachen Hand auf die Stirn.
»Du Idiot, ist doch nur eine Metapher. Meinst du, ich steig mit jedem Hirni ins Bett. Wenn dir meine Texte gefallen, okay. Aber als Sexualpartner kommst du nicht in Frage. Sorry, such dir ne Andere oder sing den Vagina-Blues»,
Beleidigt trollen sich die beiden.
»Ich wollte dich sowieso nicht, Fotze!»
Lächelnd knickst Antje. Auch wenn mir ihre Texte etwas plakativ erscheinen, imponiert mir die Frau. Cool, denke ich innerlich grinsend. Antje bemerkt mich.
»Hey, du bist doch Hotte», brüllt sie herüber. Ist mir ein bisschen peinlich. Sie kommt auf mich zu.
»Ich habe dich beim letzten Slam gesehen. Das war richtig abgefahren. Ich wünsch dir viel Glück», lächelt sie. Dann drückt sie mir eine Karte in die Hand „Antje Fellatio – Oralakrobatin. Darunter ihre Nummern.
»Ruf mich an, Süßer. Würde mich freuen.»
Sie ist wahnsinnig attraktiv, macht mir aber auch Angst. Es ist völlig normal, wenn Männer mit sexuellen Vokabeln um sich schmeißen, aber Frauen? Vielleicht bin ich noch nicht emanzipiert genug für diese Zeit.
»Mach ich bestimmt», versichere ich. »Muss jetzt rein. Vielleicht sehen wir uns auf der Bühne bei der Siegerehrung.“
Im Saal tobt die Stimmung. Suleiman aus Paderborn ist überraschend erschienen. Ein Highlight der Szene. Der Kerl hätte eine eigene Comedy-Show im TV verdient. Er trägt seinen legendären Text Ein Kanake sieht rot vor. Ausnahmezustand. Suleiman hat große Chancen auf den Sieg. Besser geht’s kaum.
Nach dem Burner folgt ein Downer. Eine Debütantin gibt Einblicke in das Leben ihres Goldfisches. Sieht nett aus, charmant, wie sie mit zittriger Stimme sich krampfhaft am Zettel festhält. Doch auf einen Treppchenplatz hat sie keine Chance. Wohlwollender Applaus. Den Reiz eines Slams macht die Mixtur aus guten und weniger guten Texten. Schlecht ist keiner. Nur Verbesserungspotential wird offensichtlich.
Dann komm ich. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Antje wieder den Raum betreten hat. Sie trinkt ein Bier am Eingang, lächelt mich an und klatscht. Scheint ja außer Siebke und der Verlegerin mehr Menschen zu geben, die mich gut finden.
Ich trete auf die Bühne.
»Guten Abend, Hannover. Danke, dass ihr da seid. Heute bin ich überglücklich. Ein Verlag hat angerufen, dass sie mein Buch drucken wollen. Dies möchte ich mit euch teilen.» Die Menschen klatschen, sind glücklich. Hannoveraner gönnen, sind nicht neidisch. Ich gerate in den Flow. Der Text trägt sich selber vor. Mimik und Gestik sind perfekt. Glückshormone pulsieren. Jede Betonung sitzt. Ich bin richtig, richtig gut. Der anschließende Applaus bestärkt mich zudem. Was für ein Tag.
Nach mir folgt als letzter Tobias Kunze. Er trägt ein noch heute verfasstes Rapgedicht vor. Cool. Auch ihm gelingt alles.
Dann werden die Stimmen ausgezählt. Ich gönn mir zwei Herrenhäuser, mehr geht nicht, habe morgen ein Vorstellungsgespräch. Dann kommt die Verkündung.
Vierter wird ein junger Mann mit langen Haaren, dessen Auftritt ich verpasst habe. dritter Tobi, zweiter Suleiman. Werde ich erster? Hat es diesmal gelangt? Nein, Antje hat gewonnen. Ich freu mich für sie. Sie bedankt sich. Wirkt jetzt ein wenig schüchtern. Steht ihr. Aus Gewohnheit blicke ich auf mein Handy. Bea hat nicht angerufen. Hätte ja fragen können, wie es gewesen ist. Aber vielleicht hat sie nichts von meinem Auftritt gewusst.
An der Bar treffe ich Mirko Lambrecht. Er gibt das Literaturmagazin Holocaust heraus. Wenn ich ihn sehe, muss ich immer an Bonanza denken, denn sein Zopf wippt unter einem Cowboyhut hervor. Sein stechender Blick wird durch eine Brille gefiltert, deren Farbe auf die seines rötlichen Rapperbartes abgestimmt ist.
»Hat nicht sollen seinen. Vielleicht beim nächsten Mal», klopft er mir jovial auf die Schulter.
»Du hast einen Buchvertrag?», fragt er. Klingt doch so was wie Misstrauen und Neid durch. Sollte ich mich in den Hannoveranern getäuscht haben?
»Unterzeichne ich übermorgen», nehme ich ein Pils in Empfang.
»Du. Einem großen Verlag würde ich nie trauen. Die nehmen dich nur aus und streichen selber den ganzen Profit ein», weiß er zu berichten. »Und wenn sie dich nicht ausnehmen, verhunzt der Lektor dein Buch, dass du es nicht wieder erkennst. Ich veröffentliche nur selber», schmeißt er sich in Pose.
Möchte wissen, wie viele Verlage seine Bücher bisher rausbringen wollten. Ich tippe auf null.
»Ist auch ein Einstellung», antworte ich salomonisch.
»Die einzige wahre, Hotte. Die einzig wahre. Du musst im Leben einen Standpunkt einnehmen. Ich werde nie ein Auto fahren, um den Ölscheichs und den Aralsfuzzis keine Kohle in den Hintern zu blasen. Genauso darfst du keine Ausbeuterverlage protegieren. Das ist auch einer meiner Standpunkte.»
»Respekt», trinke ich einen Schluck. Ich nehme an, dass er sich kein Auto leisten kann. Aber es klingt besser, ideologische Gründe statt finanzielle anzuführen.
»Ich habe sogar eine Klage beim Bundeskartellamt eingereicht, um die Absprachen der Mineralölkonzerne zu unterbinden», sagt Mirko stolz. »Wenn die durchkommt, werden überall unabhängige Tante-Emma-Tankstellen entstehen. Dann ist die Korruption und Abzockerei zu Ende. Jeder tankt beim Benzindealer seines Vertrauens.»
»Du zeigst ja ganz schön Ehrgeiz in dieser Benzingeschichte. Dafür, dass du kein Auto fährst», sage ich erstaunt.
»Hotte, einer muss es ja tun. Wenn ich Erfolg habe, kann sich jeder Auto fahren leisten. Hotte, dann gibt es das Volksbenzin. Da mach ich mir einen Namen mit und werde sogar in Wikipedia erwähnt», schwillt seine Brust vor Stolz.
Jedem das seine. Ich trinke mein Bier aus und wünsche ihm viel Glück. Er mir nicht. Es sei politisch nicht korrekt, für kapitalistische Verlage zu schreiben. Wenn er meint. Meine Laune ist zu gut, um sie mir von Lambrecht vermiesen zu lassen. Ich winke dem Cowboyhut zu und verlasse das Faust.
Schade, dass es zu keinem Treppchenplatz gereicht hat. Aber egal. Dabei sein ist beim Slam wirklich alles. Morgen beginnt mein neues Leben, ich habe das Gefühl, dass mir momentan alles gelingen kann.

Kapitel 03 wird am Montag, den 19.07., veröffentlicht: Horst wird umgetauft.

Samstag, Juli 03, 2010

Bestseller: Kapitel 1 - Der Horst an sich

Guten Abend,

wie am Freitag versprochen startet heute die Online-Version von Bestseller. Viel Spaß beim Lesen. Über Feedback und Amazon-Rezensionen freue ich mich natürlich immer.

Kapitel 2 namens Vagina-Blues gibt es am Montag, den 12.07.10.

Liebe Grüße Michael und Martin




I. Der Horst an sich

Heimat

Mein Name ist Horst und Horst ist mein Karma, mein Auftrag zu leiden, den mir meine Eltern bei der Geburt aufgebürdet haben. Kann man einen Horst lieben? Kann ein Horst Erfolg haben? Auf einer Homepage haben über hundert Menschen ihre Empfindungen zum Namen Horst abgegeben. Ein Horst ist zwar männlich, dafür aber unsportlich, mittellos, unattraktiv und so intelligent wie eine Amöbe. Dankeschön. Und sämtliche Erfahrungen meiner Jugend bestätigen die Meinung dieser hundert Menschen. Hohlhorst lautete mein Spitzname in der Grundschule. Doofhorst und Pannemann auf dem Gymnasium. Einem Horst traut keiner was zu. Das merkte ich an den Zensuren. Schätzte ich mich selber im oberen Mittelfeld ein, verwiesen mich die Pauker auf die unteren Ränge. Wenn ein Christian im Deutschaufsatz schrieb „Durch Goethes Poesie weht die Weltenseele“, prangte der Kommentar „Genial erfasst.“ am Kladdenrand. Schrieb ich dasselbe, fragte Pauker Schwuttke nach Fakten, bezichtigte mich der Schwafelei und fand in sechs Worten sieben Ausdrucksfehler. Dennoch wurde aus dem „genialen“ Goethe-Interpreten Christian ein Bademeister und aus mir ein Schriftsteller.

Ihr fragt Euch, warum ihr noch nichts von mir gehört, noch nie mein Konterfei in den Feuilletons von SZ oder FAZ bewundert habt? Liegt alles am Unglück bringenden Vornamen Horst? Die Antwort lautet: Jein. Zu dem unsexysten Namen, der je in ein Stammbuch gekritzelt wurde, kommt ein weiterer Makel meiner Vita. Jeder Deutsche versteht das sofort und wundert sich, dass ich mir keine gefakte Biographie zulege: Ich lebe und arbeite in Hannover. Diese Stadt ist für ihre Durchschnittlichkeit berühmt. Sogar Barbara Schöneberger feierte in einer Ode das Mittelmaß der niedersächsischen Landeshauptstadt. Gibt es etwas Beschämenderes?

Ursprünglich stamme ich aus dem Pott, aus Duisburg um genau zu sein. Diese Stadt verfügt über eine Idylle am Ufer des Innenhafens und Armeen brennender Ölfässer im Norden. Doch niemand tadelt Duisburg für seine astronomischen Arbeitslosenzahlen, die Aufmärsche der Rechten und sein ausgedünntes kulturelles Leben. Keiner schmäht Mannheim, Magdeburg oder Bitterfeld. Niemand kotzt über Erfurt, Frankfurt oder Oldenburg. Und Hannover zieht an diesen Städten in meinem persönlichen Ranking locker vorbei. Ob Punkkonzerte in der Nordstadt, lässiges Abhängen in Linden, Sonne tanken im Georgengarten, Picknick im Deister: Wo findet man soviel Lebensqualität auf läppischen zweihundertvier Quadratkilometern. Aber ist der Ruf erst einmal ruiniert, dann lebt es sich ganz gern durchschnittlich.

Rokko Schamoni und Heinz Strunk leben in Hamburg. Das ist cool. Der alte Enzensberger in München. Für Senioren passabel. Sven Regener in Berlin. Das ist nicht zu toppen. Slamer-Kollege Bas Böttcher ist von Bremen nach Berlin zum internationalen Erfolg gezogen. Selbst Stuckrad-Barres erblassender Stern erleuchtete in der Hauptstadt zu neuem Glanz. Wenn Berlin einem Latte-Macchiato, Hamburg einem Cappuccino und München einem Espresso gleicht, ist Hannover höchstens ein dünner Kaffee mit einem Schuss Büchsenmolke in den Augen der Öffentlichkeit.

Warum lebe ich immer noch in Hannover, mögt ihr fragen. Ich liebe diese Stadt und glaube, dass auch ein Hannoveraner Autor Erfolg haben kann. Und hier wohnen meine Homies. In diesem großen Dorf, wo jeder jeden kennt und jeder leben kann wie er will. Ist zwar ein Klischee, passt aber. Vielleicht auch nur für mich.

Nachdem ich meinen Entwurf für den nächsten Poetry-Slam auf dem Monitor durchgelesen habe, erfüllt mich Stolz. Endlich ist mir ein persönlicher Text gelungen, ansonsten schreibe ich eher politische Propaganda oder Sauf- und Weibergeschichten à la Hank Bukowski für die Bühne. Der Erfolg ist eher mäßig, aber die Message zählt.

Nachdenklich gönne ich mir einen Schluck Herrenhäuser. Was wohl diesmal Markus von der List und Antje Fellatio zu bieten haben? Das sind meine Konkurrenten beim nächsten Dichterwettstreit im Faust. Markus hat schon diverse Slams gewonnen, brilliert mit geschliffenen Versen an die Werke der Klassiker angelehnt. Mit seinem „Hölderlin-rülpst“-Poem hat er im letzten Jahr die Säle von Garmisch bis Leer gerockt.



Antje hingegen setzt auf knallige Erotik nah der Pornographie. Für mich persönlich wirkt sexuelle Provokation eher fad. Deshalb halte ich mich mit Infos über Peniswarzen und Ejakulatsmengen zurück. Wir haben mit Mitte dreißig alles gesehen, oder? Aber Charlotte Roche ist erfolgreich durch Vaginasekrete und Exkrementenberge gewatet, warum sollen Epigonen sich nicht in die Erfolgswelle hineinschmeißen und an Spritzern der Ruhmesgischt erfrischen? Meins ist es jedenfalls nicht.

Aber für einen Platz auf dem Siegertreppchen ist es gut, sich der Mode des literarischen Undergrounds unterwerfen. Doch dazu habe ich keine Lust, will mich nicht verbiegen. Nach reiflicher Überlegung komme ich zu dem Schluss, dass es auch diesmal nicht für eine vordere Platzierung reichen wird. Knalliges wird erfahrungsgemäß besser bewertet als Getragenes. Aber was soll’s. Beim Slam dabei zu sein, ist wirklich das Größte. Auf der Bühne vor über hundert Zuhörern seine Texte zu performen, im Applaus zu baden, das ist ein starkes Gefühl.

Ansonsten verfasse ich avantgardistische Romane scharf neben dem Mainstream. Mein erster Romanentwurf im Alter von siebzehn war ein totaler Flop. Ich wollte den Kriminalroman revolutionieren und schuf mit Kuno und Gabi zwei Killergeranien, die sich durch die karge Flora des Ruhrpotts ballern. Bonny und Clyde auf Öko. Stolz kopierte ich von meinem Taschengeld die fünfzig Seiten, die ich in Vaters elektrische Schreibmaschine gehackt hatte, und drückte sie meinen Freunden in die Hand. War zu strange. Die Höflichen meinten, ich solle lieber Sport treiben, die weniger Höflichen wechselten fortan die Straßenseite, wenn sie mich erblickten. Keine Beziehung zu wahrer Kunst. Ich habe mich aber nicht abschrecken lassen, denn ich glaube an meine Berufung. Einen Roman habe ich bisher nicht veröffentlicht, gebe aber die Hoffnung nicht auf.

Mein aktuelles Projekt heißt Memoiren eines Blutegels. Das Viech heißt Fred Sauger. So etwas ist noch nie da gewesen in der deutschen Literaturgeschichte. Zumindest soweit ich weiß. Eine allegorische Darstellung des Kapitalismus’. Eine Art abgespaceter Kafka des 21. Jahrhunderts. Der Egel arbeitet in den großen Konzernen und saugt sich mit Macht, Geld und Sex voll. Keiner erkennt, dass Fred ein Wurm und kein Mensch ist. Zum Schluss wird er wahrscheinlich Bundeskanzler und von der ganzen Welt hofiert. Ich weiß es noch nicht. Neben der politischen Aussage lege ich viel Wert auf bissigen Humor. So ist es anatomisch diffizil und delikat zugleich, Sex mit einem Egel zu haben. Dass die Tiere Zwitter sind, habe ich unberücksichtigt gelassen. Mir kommt es eher auf die transformierende Wirkung an. Durch Ausscheiden eines Sekrets hemmt der Egel Entzündungen. Fred lindert Korruption, Lieblosigkeit und den Materialismus unserer Gesellschaft durch sein reines Dasein. Schwer philosophisch. Ich habe diversen Verlagen Exposés zugeschickt, habe aber leider nur Formschreiben erhalten. Bis auf den Atompilzverlag in Rheda-Wiedenbrück. Der Cheflektor Timor Anarchuk hat mir persönlich geantwortet: „Liebe Horst Stengel. Mit Freude habe ich Ihren Entwurf studiert. Allerdings ist das Konzept für unseren Verlag etwas zu antiquiert. Wenn Sie einen Phallus oder eine Vagina als Protagonisten gewählt hätten, würde ich gute Absatzchancen sehen. Tierromane sind aber bereits etabliert und seit Günter Grass’ Butt für den alternativen Literaturbetrieb ein No Go. Haben Sie den Mut zur literarischen Revolution. Dann können Sie gerne wieder auf mich zukommen.“

Zu revolutionär für den etablierten Kulturbetrieb, zu antiquiert für den Underground, der in Feuchtgebieten ertrinkt. Enden meine literarischen Träume in dieser Sackgasse? Der Todesstoß für Memoiren eines Blutegels? Nein, ich bin fest davon überzeugt, dass dieser Roman den Buchmarkt rocken wird. Ich schreibe ihn fertig und biete ihn erneut an, denn mein Schreibstil zwischen Houellebecq und Konecny wird die gestrengen Augen des kritischsten Lektors durch Brillengläser wohlwollender Bewunderung strahlen lassen. Was für ein Autor. Grandios. Dass dieses Talent noch nicht entdeckt worden ist. Konzept etwas gewagt, aber die Prosa fließt wie ein glitzernder Fluss, der alle und alles mit sich reißt zum Meer sprachlicher Perfektion.

Ich gehe zum Ghettoblaster und lege die Vier Gewinnt-Scheibe der Fanta 4 in den CD-Schacht. Ich mach die Augen auf, in meinem Zimmer ist es still, mein Kopf ist voll mit Dingen die ich dort nicht haben will, was hab ich bloß gemacht, wo war ich letzte Nacht mit wem und vor allem wie hab ich sie verbracht Sechzehn Jahre hat die Mucke auf dem Buckel und streichelt meine Seele wie Anfang der Neunziger. Tritt jeder Depression in den Arsch.

Es klingelt an der Tür. Rasch leere ich die überquellenden Ascher, schmeiße die auf dem Boden liegenden Zeitschriften auf einen Haufen. Ich blicke durch den Spion. Andi, mein Buddy, und eine blonde Begleitung im Glitzerlook, die ich nicht kenne.
»Komm gleich. Bin noch im Bad», rufe ich, renne zur Dudelkiste und tausche Fanta 4 gegen Zentrifugal.

Die Schwabenhopper sind meinem Kumpel zu proletenhaft. Das würde unnötige Diskussionen hervorrufen, auf die ich keine Lust habe. Er steht unverständlicherweise auf Siebziger-Rock. Schweißtreibende Mattenschwingermusik wie Depp Popel. Nirwana findet er auch gut. Und intelligenten deuschten Hip-Hop, wobei seine Definition von intelligent nach Lust und Laune variiert. Smudo und Konsorten fallen immer durch sein Raster. Sie werden es verkraften.

Andi ist Künstler und Designer. Was er designed, weiß eigentlich keiner genau. Produkte, die die Welt nicht braucht, aber seinen Spieltrieb befriedigen. Ein fünf Jahre altes Kiosk- und ein sieben Jahre altes Stuhlquartett liegen in meiner Schublade. Originell, aber wer zahlt dafür? Dauernd erzählt er von Messen in fernen Städten, kennt Hinzchen und Künzchen, steht immer vor dem großen Deal. Aktuelle Entwürfe habe ich schon lange nicht gesehen. Momentan versteift er sich auf Malerei. Abstrakte Farbflächen, die er mit Titeln wie Stalingrad oder G8-Gipfel versieht. Und Objekte. Umarrangierter Müll, würde meine Oma sagen. Für Andi jedoch die Pforte zum Sahmadi. Ich frage mich, wer das kauft. Seine Firma heißt: pro:perfekt: Die Doppelpunkte haben keine Bedeutung, sehen aber wichtig aus, hat er mir erklärt.

Ich schätze, er lebt von den Frauen, die er in Diskotheken aufgabelt. Dabei sieht Andi überhaupt nicht wie ein Casanova aus. Hoch gewachsen, Nickelbrille, spitzbübisches ironisch-distanziertes Lächeln umrahmt von buschigen Augenbrauen. Mehr der freundliche Kumpel von Nebenan als der feurige Gigolo aus Exoticland. Im Gegensatz zu mir legt er viel Wert auf seine Kleidung. Oft sieht man ihn mit Krawatte wie ein Nachrichtensprecher getarnt auf Punkkonzerten. Dafür betritt er in Latzhose und Sex-Pistols-Shirt die Symphonie. Immer unberechenbar bleiben, sagt er. Naja, dabei ist sein Nonkonformismus extrem vorhersehbar. Aber wer ohne Schwäche ist, werfe den ersten Kiesel. Sympathischer Typ, aber kein Brad Pitt, oder auf wen auch immer die Damenwelt gerade steht. Seine Masche ist einfach und bringt laut Andi achtzigprozentigen Erfolg. Er spricht eine attraktive Frau in der Disko an und fragt: „Hast du Lust mit mir zu ficken?“ Je hübscher die Frau, je höher die Wahrscheinlichkeit, beteuert er. Ich würde mich so was nie trauen. Bin eher der schüchterne Typ, und außerdem gibt es Bea. Genau genommen hat es Bea gegeben. Ach, habe keine Lust darüber nachzudenken. Zudem hat Andi einen stinkreichen Vater, der marode Unternehmen aufkauft und mit Gewinn verscherbelt. Obwohl sie kaum miteinander sprechen, bläst ihm der Alte ordentlich Zucker in den Arsch. Ich gönne es ihm, denn er ist ein netter Kerl und hat mich noch nie hängen lassen. Er versteht mich, wie er nur wahre Buddies tun, sieht nicht nur meine bloße Erscheinung sondern den Horst an sich, wie es Kant formulieren würde.

Ich öffne Andi die Tür.
»Alles klar, mein Freund?», begrüßt er mich und stolziert auf mein Sofa zu. »Klasse Scheibe, was? Bas Böttcher war die frühe Blüte des deutschen Hip-Hops. Habe ihn mal in Hildesheim getroffen, netter Kerl.» Die hübsche Blonde mit Pagenschnitt, nicht die größte, aber eine Augenweide, folgt zögernd.
»Bin die Petra», murmelt sie etwas verhuscht, als sei der Name eine Beleidigung. Ich verkneif mir ein ‚Macht ja nix’ sondern antworte »Horst». Interessiert mustert sie mich.
»Mensch, Hotte», dröhnt Andi. »Deine Bude sieht genauso abgefuckt aus wie bei meinem letzten Besuch.»
Missbilligend streicht er über die von der Wand wellende Raufasertapete.
»Bring den Schuppen doch endlich auf Vordermann. Wie innen so außen. Wenn du deine Wohnung in einen properen Zustand transferierst, wird es auch mit einem Job oder mit den Frauen klappen. Glaub mir, ich spreche aus eigener Erfahrung.“
»Seit Bea mich verlassen hat, bin ich ein wenig down. Konzentriere mich auf die Literatur. Für Renovierungsarbeiten bleibt da keine Zeit», fühle ich Verteidigungsdrang und versuche unauffällig, mit dem Fuß den Teppich zu glätten.
Ich weiß nicht, was er hat. Okay, die Tapete ist nicht der Burner. Das Geschirr in der Spüle müsste auch mal gewaschen werden. Ich mag es halt funktional. Kann hier schreiben und schlafen, andere Zwecke braucht die Zweieinhalb-Zimmer-Bude nicht zu erfüllen.
»Bea hat dir vor einem halben Jahr den Laufpass gegeben», wird meine Entschuldigung zurückgewiesen.
»Aber sie ruft immer noch an, interessiert sich, wie es mir geht. Vielleicht kommen wir wieder zusammen», glaube ich selber nicht an meine Worte.
»Wenn du meinst», verdreht Andi die Augen. Schließlich hat er die Sie-liebt-mich-immer-noch-Geschichte schon an die fünfzig Mal gehört.
»Wer ist Bea? », beteiligt sich Petra am Gespräch. Andi verdreht wieder die Augen, weiß er doch, dass mit dieser Frage der Startknopf meines Bea-Tapes gedrückt ist.
„Meine absolute Traumfrau. Wir waren wie Ying und Yang, ergänzten uns perfekt. Die Zeit mit Bea war die schönste Phase meines Lebens», rede ich mich in eine mittlere Depression.
»Was ist denn schief gelaufen?», fragt Petra. Gar nicht so übel die Frau. Keiner meiner Freunde möchte mehr ein Wort über Bea hören.

Ich lernte sie über das Internet kennen. In einem Esoterikforum. Ich hatte mich dort nur eingeloggt, um lustige Geschichten von Menschen zu lesen, die Rumpelstilzchen mit Wünschelruten aufspüren können. Stoffsammlung sozusagen. Dann schrieb ich in einem Thread, dass ich Autor sei. Daraufhin mailten mir bestimmt zwanzig kranke Gestalten. Ob ich ihr Buch verlegen könne. Eine Frau verfasste Gedichte über Gemüse. Ob wir uns zusammentun wollten. Danke, leb dein verpfuschtes Leben alleine. Bea meldete sich auch. Die war zwar auch ein wenig seltsam gestrickt, gefiel mir aber auf Anhieb. Dass sie an Engel und Chakren glaubte, fand ich jedenfalls vernachlässigenswert. Unser Briefverkehr gefiel mir. Sie war witzig, charmant und Single.
Dann kam sie nach zwei Wochen Schriftverkehr bei mir in Duisburg vorbei. Es war Liebe auf den ersten Blick. Verschmelzung der Körper in grenzenloser Ekstase. Wir sind daraufhin abwechselnd am Wochenende in die Stadt des anderen gependelt. Während der Woche jobbte ich als Anzeigenwerber für ein Wochenblatt. Wenig befriedigend, es gab aber ein paar Tacken aufs Konto. Hannover, Beas Heimat, hat mir immer besser gefallen. Die blöden Kommentare meiner Kumpels aus dem Pott vermehrten sich proportional zu meiner Reiselust. Was willst du in Hannover? Eine ödere Stadt gibt es in ganz Deutschland nicht. Oder wann hat 96 das letzte Mal Schalke geschlagen? So denken die meisten Leute im Ruhrgebiet. Die Lebensqualität wird mit dem Tabellenstand des favorisierten Fußballteams bewertet. Allerdings wird über die fehlenden Erfolge des Blau-Weißen gerne hinweggesehen, denn für ihre Fans bleiben sie immer Meister der Herzen.

Aber was interessiert mich Fußball. Wenn Bea und ich über die Limmer Straße flanierten, war das wie Lifekino. Da hockten alte DKP-Opis vor dem Notre-Dame und sinnierten über die glorreichen Achtziger, Studenten durchvölkerten die Antiquariate und linke Otto-Normal-Ökos shoppten im Biotempel. Ein Paradies der Gegenkultur. Im Pott findest du so was nicht.

Nach einem Jahr Pendelei beschlossen wir zusammenzuziehen. Bea arbeitet als Texterin in einer Werbeagentur. Verdient gute Knete, ackert allerdings von neun bis in die Puppen. Ich habe leider keinen festen Job gefunden. Ist auch nicht einfach. Nach Schule und Zivildienst hatte ich zunächst studiert, dann aber keine Lust mehr auf die Reproduktion gelehrten Geschwätzes gehabt. Das Arbeitsamt sagte mir, Industriekaufmann sei genau richtig für mich. Glaubte ich zwar nicht, war aber bequem. Und gab tausendfünfhundert Märker aus EU-Mitteln. Super geil. Aber Buchhaltung und Verkauf sind einfach nicht mein Ding. Wenn ich einen Kontenplan sehe, kräuseln sich meine Zehennägel. Aber anderes habe ich leider nicht erlernt.
Frisch in Hannover ergatterte ich einen Job bei Freenet und warb DSL-Kunden an der Haustür. Ein größerer Flop als die Telekom-Aktie. Wer wechselt den Provider, wenn ein Straßenverkäufer im Stile eines Diskopromoters erzählt, dass er noch heute diese einmalige Chance ergreifen muss. »Greifen sie zu. Nur heute gilt unser zweihundert Prozent Rabatt auf Anschlussgebühren. Natürlich liegen unter ihrem Feldweg DSL-Kabel. Vertrauen Sie mir. Die Erna auf den Strich geschrieben, und Ihr Gigapaket an Informationstechnologie ist gebucht.» Niemand. Nur eine Oma unterschrieb, der ich erzählte, dass die Telekom dichtmachen würde. Eine reine Verzweiflungstat, bei der ich mich sauschlecht fühlte. Als ihr Sohn sie über meinen Schwindel aufklärte, stornierte sie den Auftrag sofort. Nach zwei Wochen saß ich auf der Straße und am Ende der Karrieresackgasse.

»Ich konzentriere mich komplett aufs Schreiben. Frondienste stören meine Konzentration auf das Wesentliche», erklärte ich Bea. Fand sie okay. Mit einem Künstler als Freund hebt sich der Status in Lindener Szenekreisen um bestimmt zwanzig Prozent. Im Grunde träumt hier jeder vom großen Wurf, dem Durchbruch mit der Garagenband, der Vernissage in der New Yorker U-Bahn oder der Veröffentlichung bei einem Szene-Verlag. Doch die wenigsten schaffen es. Ich erklärte, dass ich einen Roman veröffentlichen wolle, um vom Schreiben zu leben. Zu diesem Zeitpunkt war Bea stolz auf mich. Außerdem verdiente sie genug für uns beide. Sie sagte, ich solle mich um den Haushalt kümmern und ansonsten schreiben. Klang fantastisch.

Doch der Weg zum Ruhm ist zäh. Wenn du schreibst, bist du in einem meditativen Fluss, fokussierst dich auf deinen Stoff, Stil und Figuren. Da bleibt wenig Zeit für saubere Fenster und Müllentsorgung. Selbst die Einkäufe litten unter meinem Schreibwahn. Bis auf Kippen und Kaffee ließ ich die Besorgungskiste ein wenig schleifen. Bea rauchte nicht und trank nur grünen Tee. Unserem täglichen Döner konnte sie daher nichts Positives abgewinnen. Kein Wunder, dass sie mit meiner Einkaufsliste unzufrieden war. »Mach endlich mal was im Haushalt. Ich arbeite vierzehn Stunden pro Tag. Da ist es nicht zu viel verlangt, dass du dich um unsere Wohnwelt kümmerst. Zumindest ein Grundmaß an Sauberkeit und ein gefüllter Kühlschrank sollten vorhanden sein. Ich fühle mich so nicht wohl», fuhr sie mich an.

»Baby, was ist los mit dir? Wie soll ich den großen deutschen Roman schreiben, wenn ich den Staubwedel schwinge. Ich habe mich für das Leben als Schriftsteller entschieden und kann mich nicht mit Trivialitäten abgeben.»

»Haushalt oder Straße, du hast die Wahl», stürmte sie aus dem gemeinsamen Wohnzimmer und knallte die Tür, dass die Lampen an der Decke wackelten. Ich zeigte mich unbeeindruckt und werkelte an meinem Roman. Schrieb fast zwölf Stunden am Tag, ging höchstens mit den Freunden auf ein Bier ins Chez Heinz. Bea verstand einfach nicht, dass ich genauso hart wie sie arbeitete. Sie sprach nur das Notwendigste mit mir. »Bringst du den Müll runter?» - „Hast Post.» - »Benutz gefälligst die Toilettenbürste. Mit Spülen bist du auch dran!»

Ich ignorierte diese Sklaventreiberei. Was wollte die Frau? Hätte sie die Biographien Thomas Manns oder Goethes studiert, hätte sie gewusst, dass sich Hausarbeit und Künstlertum nicht vertragen. Ganz im Ernst. Stellt euch Thomas Mann mit Klobürste und Aidshandschuhen vor, wie er braune Sauce in der Schüssel umrührt. Dann die Wende: Zähneknirschend kümmerte sich Bea um den Haushalt, putzte, wischte, brachte Müll runter und kaufte ein. Ich war glücklich, dass sie der überzeugenden Logik meiner Argumente schließlich doch gefolgt war. Meine Liebe für meine Gönnerin potenzierte sich geradezu.

So saß ich am Rechner und schrieb um mein Leben. Einige Wochen lang. Dann startete ich die Großoffensive: Am Sonntag schickte ich Mails an alle großen und einige kleinere Verlage, die darauf warteten, dass Horst Stengel endlich seinen Bahn brechenden Roman abschloss.

»Sehr geehrte Damen und Herren. Mir ist bekannt, dass Sie für Ihr Herbst- und Winterprogramm noch einen Bestseller suchen. Gerne bin ich Ihnen dabei behilflich. Mein Roman Memoiren eines Blutegels steht kurz vor der Fertigstellung. Um die Arbeiten beenden zu können, benötige ich einen Vorschuss von zwanzigtausend Euro. Bitte überweisen Sie den Betrag kurzfristig an untenstehende Kontoverbindung. Ein Probekapitel liegt bei. Ich bin sicher, die Qualität der Lektüre wird Sie begeistern.»
Vielleicht war das naiv, aber ich glaubte wirklich, dass mir die Verlage die Bude einrennen würden. Leider blieb am nächsten Tag mein Mailpostfach leer. Diverse Tipps zur Penisverlängerung, Busenvergrößerung oder Bestellmöglichkeiten von Viagraimitationen zählen nicht. Als Bea am Abend mit Ringen unter den Augen vom Stress in der Agentur nach Hause kam, fragte sie sarkastisch »Und? Hat sich in den Pizzakartons in der Diele schon Leben entwickelt?»
»Stell dir vor, ich steh kurz vor Abschluss eines Buchvertrages», umarmte ich sie euphorisch.
»Echt?», spiegelte sich in ihren blauen Augen pures Misstrauen. Hatte ich das verdient? »Wo denn?»
»Ich hab rund zwanzig Verlage angeschrieben. Wäre doch gelacht, wenn da keiner sein Glück begreift. Aber ich werde nicht wählerisch sein. Wer zuerst mahlt, mahlt zuerst. Mein Wort zählt.»
Beas Reaktion enttäuschte mich ein wenig. Ihr Gesichte wirkte verkniffen, sie sagte aber nichts. Stattdessen griff sie meinen Drucker, riss die Verkabelung aus Rechner und Steckdose, öffnete das Fenster und schmiss ihn auf die Straße.
Ich versteinerte, als hätten die Fruchtfliegen auf dem Obstkorb La cucaracha geträllert.
»Was machst du? Wie soll ich meinen Roman ausdrucken? Du weißt, dass ich nur auf Papier korrigieren kann», heulte ich fast, bewahrte mühsam den letzten Funken Würde. Ich würde ihr nicht die Genugtuung geben, mich zum Weinen gebracht zu haben.
»Such dir eine andere Bleibe», fauchte Bea. »Von dir lass ich mich nicht länger verarschen. Deine Stories vom großen Roman, auf den alle Verlage nur warten, glaubst du doch selber nicht. Ich füttere dich nicht mehr durch. Morgen sind deine Sachen hier verschwunden. Finito.»
Nach diesen beeindruckenden Worten schmiss sie wieder die Tür, stürmte ins Schlafzimmer und schloss von innen ab. Vollkommen verrückt die Frau. Dabei liebte ich sie so sehr. Für wen tat ich denn das alles? Sie sollte stolz auf mich sein. Wollte sie lieber einen Putzmann als Partner?
Ich klopfte an ihre Tür.
»Lass uns noch mal darüber reden. Wenn dir soviel daran liegt, wienere ich die Wohnung bis zum Erbrechen. Dann lass ich von der Kunst und verkaufe acht Stunden Lotterielose an ahnungslose Omis. Wenn du das willst, bitte. Beschwer dich aber nicht, wenn ich mit fünfzig in die Kiste gelegt werde und der Pfarrer sagt: ‚Er schrieb gerne, leider reichte seine Zeit nicht.’»
»Verzieh dich einfach! Ich hab genug von deinen Märchen. Du lebst in einer Traumwelt. Werd erwachsen, Horst! Zum Leben brauche ich eine gemütliche Atmosphäre. Du pinkelst neben das Klo und wischst nie weg. Du lässt deine Bierflaschen an allen unmöglichen Orten stehen. Am Meisten habe ich mich über die verschimmelten Spaghetti unter dem Schrank geärgert. Wenn du schon nicht putzt, kannst du wenigstens deinen Dreck entfernen. Tut mir Leid, aber ich kann nicht mehr. Du führst das Leben eines Asozialen. Ich habe jeglichen Respekt vor dir verloren.»

Das war deutlich. Hätte nie gedacht, dass sie die Situation so fehl interpretieren würde. Ein Gefühl tiefer Traurigkeit durchdrang mich. Ich holte mir aus der Küche ein Bier und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Hatte sie etwa Recht? War es schlimm, den Haushalt zu vernachlässigen? Ich wollte doch nur das Beste für uns. Daher hatte ich mich ganz auf den Erfolg als Autor versteift. Wenn meine Bücher erst einmal die Bestsellerliste rockten, hätten wir ausgesagt. Bea könnte den Agentur-Job schmeißen und eine Putzfrau würde die lästige Hausarbeit übernehmen. So what? Vier Bier und unzählige Zigaretten später hatte ich meine Gedanken geordnet und die Lösung der Schuldfrage beantwortet. Bea schmollte noch immer im Schlafzimmer und reagierte nicht auf mein Klopfen. Na gut, bekam sie nicht die Lösung unseres Problems zu hören. Er lag alles an ihrer Definition ihres Parts in unserer Beziehung. Ein Künstler braucht eine Muse, die ihm alle lästigen Alltagsbanalitäten abnimmt. Dies schien sie nicht zu begreifen. Im Gegenteil: Sie sah mich als ihren Muserich, der für Madame den ganzen Haushalt schmeißen sollte. Dabei trug ihre zugegeben elegante Schreibe über Shampoos, PCs oder Nutzfahrzeuge nicht gerade zur Verschönerung unserer Welt bei.

Aber wer nicht will, der hat schon. Wenn sich eine Frau verabschiedet, sucht sich der Literat eine andere, rotzte ich gehässige Gedanken. Ich würde Bea beweisen, dass in mir ein erfolgreicher Schriftsteller steckt. Dann käme sie auf dem Boden auf mich zu gekrochen und würde mich tränenüberströmt um Verzeihung bitten. Ob ich dazu bereit wäre, wusste ich noch nicht. Außerdem: Wenn man sie reden hörte, könnte man mich für das letzte Arschloch halten. Und das war ich definitiv nicht. Ich fokussierte mich zu dieser Zeit nur auf andere Betätigungsfelder, als Bea es gerne gesehen hätte. Aber wenn ich den fetten Verlagsvertrag eingesackt hätte, würde sich das wieder ändern. Irgendwann schlief ich voll finsterer Gedanken über die Ungerechtigkeiten des Lebens ein.

Am nächsten Morgen weckte mich Bea. Im schicken Kostüm für die Welt der großen Worte, die kleine Marken gigantisch erscheinen lassen. Sah schon klasse aus. Insgeheim bedauerte ich unseren unnützen Streit vom Vortag und wollte sie mit einem liebevollen Kuss begrüßen, doch sie schob mich von sich.
»Wenn ich wiederkomme, bist du weg», stellte sie fest. Warm wie grönländische Winternächte.
Diskussion zwecklos.
»Okay», gab ich daher klein bei. »Aber wollen wir nicht…»
»Es ist alles gesagt», unterbrach sie mich unwirsch.
»Nein, ich liebe dich sehr. Ich werde mich ändern. Aber zuerst will ich meinen Roman veröffentlichen. Dann habe ich alle Zeit der Welt für Alltagskram», zeigte ich Einsicht. Doch Bea schien zu merken, dass mich ein Leben als Hausmann nur bedingt begeisterte.
»Das glaubst du doch selber nicht. Aus meiner Sicht hattest du genug Chancen. Es ist besser, einen sauberen Schlussstrich zu ziehen, als sich jeden Tag zu ärgern. Bitte zieh aus! Ich ertrage die momentane Situation nicht mehr», ließ sie sich nicht erweichen.
Jetzt hieß es nur noch, mit erhobenem Kopf den Rückzug anzutreten.
»Du wirst nicht merken, dass ich jemals hier gewohnt habe», unterdrückte ich das Zittern in meiner Stimme. Das meinte ich auch ernst. Als sie die Tür ins Schloss fallen ließ, rief ich Andi an.
»Klar, kannst du bei mir wohnen. Ich komm vorbei und helfe dir beim Transport.»
Innerhalb von zwei Stunden hatten wir meine Habseligkeiten, die aus Wäsche, Büchern und meinem Rechner bestanden, in seinem Keller verstaut. Bevor ich zum vorerst letzten Mal die Wohnungstür schloss, legte ich einen Zettel auf den Wohnzimmertisch. ‚Bin bei Andi’. Konnte ja sein, dass sie sich bald vor Sehnsucht nach mir verzehrte. Einen Monat später bezog ich meine fünfundvierzig Quadratmeterbude auf der Limmer, im Herzen des Kiezes. Ich wollte nicht, dass Andi mich auch irgendwann als Schmarotzer empfand. Bea hatte mich bis dahin nicht angerufen. Freunde haben eine höhere Halbwertzeit als Frauen, habe ich festgestellt. Und hier bin ich nun.

Ach ja, Petra hat mich über meine Beziehung zu Bea befragt.
»Nichts», antworte ich kurz. »Wir haben uns einfach auseinander gelebt. Ich habe mich weiterentwickelt, sie nicht. Aber ich denke, dass wir in naher Zukunft wieder zusammenkommen.»
Andi grinst, sagt aber nichts.
»Was machst du denn so? », frage ich Petra.
»Danke, dass du fragst», verzieht sich Petras Gesicht. »Andreas interessiert sich überhaupt nicht, was ich mache und wie es mir geht.»
Eine noch so harmlose Frage kann wie Pandora den Deckel der Beziehungsbüchse öffnen. Böser Fettnapf.
An Andis verkniffenem Gesicht sehe ich, dass er sich schon Gedanken macht, wie er an eine neue Frau kommt. Die Periode des lauen Lebens auf Petras Kosten scheint sich für ihn dem Ende zuzuneigen. Der Typ ist beziehungsgestört.
»Ich arbeite in einem Reisebüro. Das ist total ätzend. Die Kolleginnen mobben mich. Für mich ist das einfach nicht zum Aushalten. Eigentlich will ich was ganz anderes machen. Irgendwas mit Tieren oder so. Die liegen mir mehr als Menschen. Vielleicht wäre ein Zoo klasse für mich. Ich werde irgendwann versuchen, dort einen Praktikumsplatz zu bekommen, wenn es mir besser geht. Zurzeit bin ich krank geschrieben, weil ich unter Dauermigräne leide. Ich muss mich laufend übergeben. Heute Abend ist es besser. Aber wenn ich nach Hause komme, geht es sicher wieder los», nörgelt sie monologisierend.
Gut, dass sie jetzt schon ihre spätere Befindlichkeit kennt. Ich kann Andi verstehen, dass er nie fragt, wie sich Petra fühlt. Sie erzählt es ihm wahrscheinlich dauernd.

Frauen wie Petra sind der Grund, warum ich mich weigere, potentielle Sexualpartnerinnen in Diskotheken aufzugabeln. Die leckere Schale blendet und lockt, der Kern ist faulig und stößt ab. Aber Andi kommt es hauptsächlich auf die Solvenz seiner Liebschaften an. Ob allerdings eine Reisebürotippse genug verdient, um Andis Dandy-Lifestyle zu finanzieren? Mir scheint diese Beziehung dem Untergang geweiht.
»Unsere Mitbewohner mobben uns auch», fährt Petra weiter auf dem Schlechte-Laune-Trip. »Nur weil ich einen Brief an die Hausverwaltung geschrieben habe, dass die Katzen der Habermüllers nicht in den Hausflur kacken sollen. Aber das ist kein Grund, mir einen Vogel zu zeigen. Ich habe doch auch Gefühle», kullert eine Träne ihre Wange hinunter.
»Hättest du auch nicht machen sollen», ergreift Andi das Wort. Habe schon gedacht, er hätte ein Schweigegelübde abgelegt. »Hat mich an die Stasi erinnert. Künstler leben und lassen leben. Was juckt uns die Katzenscheiße? Auf der Welt verhungern Kinder, es gibt Kriege und meine Bilder werden von der Szene verkannt. Warum kümmerst du dich angesichts dieser Tatsachen um die Nachbarn?» Er hat sich wirklich in Rage geredet.
»Darauf muss ich mir erst mal ne Line ziehen. So was kann ich nicht ab. Noch jemand? »
Petra schweig beleidigt und starrt auf den Boden. Ich lehne dankend ab. Andi schüttet etwas weißes Pulver auf den Tisch und zieht sich mit einem Zehner ein Näschen. Er wischt sich übers Gesicht und strahlt.
»Jetzt bin ich wieder entspannter. Lass uns nach Hause gehen, ich bin heiß auf dich; Baby“, strahlt er, als hätte es keinen Streit gegeben.
Petra blickt ihn finster an. »Das könnte dir so passen. Vorhin hast du mich beleidigt, und jetzt willst du ficken. Nicht mit mir.» Sie schmollt. Als ob Andi sich dadurch beeindrucken ließe.
»Never mind, dann geh ich auf die Rolle. Warte nicht auf mich. Was hast du noch vor Hotte?»
»Ich werd noch ein wenig schreiben», überleg ich. »Fred Sauger ist gerade zum Präsidenten von Bayern München gewählt worden. Der Club wird dadurch überaus beliebt, aber auch erfolglos. Ein ironisches Kapitel über die Unvereinbarkeit von Macht und Charakterstärke. Morgen geht’s zur Arbeitsamt, mein Jobberater will mich sprechen. Hat wahrscheinlich einen neue Stelle für mich auf Lager. Abends ist Slam. Wird ne grandiose Show. Kommst du?», lege ich meine Agenda offen.
»Weiß noch nicht», befindet sich Andi mental bereits in irgendeinem Aufreißerschuppen. Ich tippe auf das Brauhaus. Ist zwar uncooler als ein Achtziger-Oberlippenbart, aber dort tragen die Frauen Matratzen auf dem Rücken. Habe ich gehört, war selber noch nie drin. »Muss los, man sieht sich. Ciao. Pety Süße, warte nicht auf mich. Wird eine lange Nacht.»
Das ist ein rascher Abschied. Petra sieht noch frustrierter aus. Hätte nicht gedacht, dass das möglich ist. Sie möchte auch ein Bier. Bekommt sie. Ich bin ein guter Gastgeber. Über was sollen wir schnacken? Ich habe keine Lust auf ihr Gejammer. Vielleicht will sie noch über Andi herziehen. Für Getratsche bin ich nicht zu haben. Es wäre mir am Liebsten, wenn sie geht.
Meine Menschenkenntnis erweist sich wieder als unfehlbar.
»Andi bin ich scheißegal. Der sucht jetzt seinen Spaß. Er betrügt mich, wenn ich aus den Augen bin. Habe ich das verdient? Sag du es mir: Das habe ich doch nicht verdient, oder!»
Oh Gott, was habe ich verbrochen, fluche ich innerlich, sage aber »Nein, auf keinen Fall.»
»Du bist anders. Bei dir habe ich sofort gemerkt, dass du mich verstehst», macht sie mir auf einmal schöne Augen.
»Ich weiß nicht», murmele ich hilflos. Habe schon die eine oder andere Flasche zuviel intus.
»Sei nicht so bescheiden», rückt sie mir in ihrem silbernen Fummel auf die Pelle. »Weißt du, dass du sehr schöne Haare hast.»
Oh Gott, direkter geht’s nimmer. Normalerweise spucke ich nicht ins Glas. Die Gelegenheiten sind selten. Aber mit der Freundin meines besten Freundes? Niemals. Lieber wichsen, bis die Hände vor Altersgicht erstarren.
»Du bist die erste, die auf meine Al-Bundy-Gedächtnisfrisur steht. Danke. Aber lass uns den Abend beenden. Ich bin schon müde. Werde auch nichts mehr schreiben», lüge ich und blicke zur Uhr. Erst kurz nach zehn.
»Ich kann nicht nach Hause gehen», fängt sie auf einmal an zu heulen. »Da bin ich ganz alleine. Und Andi poppt eine andere. Ich fühle mich so einsam.»
Mir fällt darauf nichts ein, also schweige ich.
»Sag doch auch mal was», gibt sie keine Ruhe und wischt sich die Tränen von den Wangen. »Findest du gut, was er macht?»
Ich hab keine Lust auf Diskussionen. Daher sage ich »Nein», ohne genau zu wissen, worauf sie sich bezieht. Aufs Fremdgehen, auf die Stasivorwürfe oder was auch immer?
Ihr Kopf schmiegt sich an mich, ihre Hand wandert zu meinem Schritt. Scheiße, jetzt muss ich aktiv werden, sonst habe ich nicht nur eine Exfreundin (Bea) sondern auch einen Exfreund (Andi). Zuviel Verluste für ein Jahr.
»Du, lass das. Es hilft dir nicht in deiner momentanen Situation und macht uns beide unglücklich. Auf Regen folgt auch Sonnenschein», labere ich Psychomist in der Hoffnung, sie ohne Gewaltanwendung stoppen zu können.
»Pst», hat ihre Hand meinen Reißverschluss geöffnet und tastet sich in Richtung Heiligtum vor.
Ich werde scharf. Die Situation ist kurz vor der Eskalation. Aber auf so einen Rachefick habe ich keine Lust, sage ich mir. In Wirklichkeit will sie nur Andi. Und wenn die beiden sich trennen? Mit Schrecken sehe ich die Eheleute Horst und Miesepetra Stengel vor meinem geistigen Auge. Das kühlt ab.
Ich greife ihre Hand, ziehe sie weg und schließe meine Hose.
»Ich find dich wirklich süß, aber Andi ist mein bester Freund. Geht einfach nicht für mich. Das ist eine Frage der Ehre.»
Sie fühlt sich jetzt auch von mir beleidigt, traut sich aber nicht, mir Vorwürfe zu machen. Ihr ist schon klar, dass es moralisch zweifelhaft ist, mit dem besten Freund seines Freundes zu ficken.
Wir murmeln beide, dass wir unbedingt schlafen müssen.
»Bis bald», verabschiedet sie sich endlich.
»Würde mich freuen», lüge ich. Als sie raus ist, dusche ich kalt. Das macht nüchtern und vertreibt den letzten Rest Geilheit. Anschließend lege ich mich ins Bett und dämmere sofort weg.

Freitag, Juli 02, 2010

Ein Geschenk an die Leser meines Blogs



Es ist einmal an Zeit Danke zu sagen. Danke an Euch, die vielen treuen Leser Martins und meiner Romane, die uns seit 2002 die Treue halten. Ihr gebt uns die Inspiration und Motivation weitere witzige Abenteuer des Münsterländer Detektivs zu erfinden.

Und selbstverständlich gibt es ein Dankeschön: In den nächsten Wochen werden wir kapitelweise meinen letzten Roman Bestseller kapitelweise online auf diesem Blog veröffentlichen. Ich hoffe, Ihr habt Spaß daran.

Zum Buch:

Zwei Freunde, ein Haufen Geld und ein skrupelloser Zuhälter...

Der arbeitslose Szenegänger Horst Stengel träumt von einer literarischen Karriere. Damit könnte er auch seiner Ex Bea beweisen, was in ihm steckt. Doch wie lässt sich das verwirklichen?

Eines Tages erhält er Post von einem Verlag in Offenburg. Die Verlegerin ist von seinem Buch von einem smarten Blutegel im Kampf gegen den erbarmungslosen Kapitalismus restlos begeistert. Knackpunkt: Er muss für die Veröffentlichung dreitausend Euro bezahlen.

Ein irrwitziger Roadmovie durch die skurrilsten Situationen auf der Jagd nach der Romanfinanzierung nimmt seinen Lauf. Horst gerät in die Fänge von bibeltreuen Christen, Kaffeefahrern und eines skrupellosen Zuhälters. Wird er sein Ziel erreichen?


Rezensionen zu Michael Bressers Bestseller

Erwin Schütterle (Geschäftsführer des Freundeskreises Hannover):

Kompliment: Dein "Bestseller" hat mir richtig gut gefallen! Ab der Mitte hat er mich sogar gefesselt. Nach langen Nächten mit Stieg Larssons Lisbeth Salander fürchtete ich schon, da kommt nichts mehr danach. Und dann - mitten aus einem trendigen Hannover - so ein rotzfreches Buch, besser gesagt geschriebenes Bild, nein: Video, über eine Generation, von der wir bildungsbeflissene ZEIT-lesende Ü-60 außer Ahnungen und Vermutungen so gut wie nichts wissen. Ausgedrückt in einem aktuellen Pop-Deutsch, über das wir zwar die Nase rümpfen aber es so hinnehmen und kennen lernen müssen, erfahren wir voller Staunen, dass auch die heutige Jugend voller Hoffnungen und Träume (hin bis zur großen, alleinseligmachenden Liebe) steckt. Nur mit dem Handicap, dass für sie die Chancen der Erfüllung weitaus geringer und dafür die Aussichten, in dieser gierigen, geldorientierten Zeit blutig auf die Nase zu fallen, weitaus höher sind. Von den grotesken Macken der Alten und ewig Gestrigen ganz zu schweigen. Wäre das Buch nicht so witzig geschrieben, könnte man glatt depressiv werden. Wünsche, ein "richtiger" Verlag macht Deinen "Bestseller" zum Bestseller ...und verfilmt ihn auch gleich noch. Das Drehbuch ist jedenfalls so gut wie fertig. In diesem Zusammenhang: Finde Deinen Roman "griffiger" und "heutiger" als Maurers "Föhnlage".

Alexander von Eisenhart-Rothe (Regisseur):

Respekt!!!!!! Ich finde das Buch wirklich sehr, sehr gelungen, ich mag die schrägen Charaktere, die skurrilen Erlebnisse mit religiösen Fanatikern und Skinheads und den ganzen Wahnsinn des Alltags den du beschreibst. Das Buch erinnert mich ein bisschen an den "Herrn Lehmann" vom Regener.

Mark Scheppert (Autor, Redakteur):

Der Horst durchlebt auf 227 rasant geschriebenen Seiten eine wirklich atemberaubenden Achterbahnfahrt der Gefühle. Obwohl der Arme in möglichst viele klischee-behaftete Szenarien geschickt wird, kann man trotzdem an fast allen Stellen herzhaft lachen. Wirklich sehr witzig vom Autor beschrieben!
Ich habe allerdings oftmals innerlich gehofft, dass Hotte (der stärkste Pechmagnet der Welt) nicht gänzlich autobiografisch ist, denn er hatte es ja wahrlich nicht leicht. Das Buch macht auf jeden Fall Lust, mal nach H-Town zu fahren.

Die Veröffentlichung startet am Montag, dem 05.07.10.

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